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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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die Abberufung erahnt hatte, erahnte ich auch Elicias Antwort.
    »Einfach so mitkommen? Als was? Als Ehebrecherin?«
    »Als … als … Der Herzog verbringt den Winter nicht weit von Konstanz, in der Pfalz Reichenau. Dort könntest du eure Sache vertreten.«
    »Das wäre vergeblich. Solange du keine Schöffen berufen und kein Urteil gesprochen hast, wird sich an den Verhältnissen nichts ändern.«
    »Was erwartest du von mir? Dass ich gegen meine Überzeugung ein Urteil gegen Aistulf herbeiführe und damit dir und Baldur den Weg ebne?«
    Ich tat weit empörter, als ich es tatsächlich war. Das war Teil des Kampfes, den ich mit mir ausfocht. Ich hätte beharrlicher ermitteln können, wie es sonst meine Art ist, aber das hätte bedeutet, entweder Aistulf oder Baldur oder Claire oder Bilhildis der Tat zu überführen, und jede Anklage hätte Folgen auch für mich und Elicia gehabt.
    Einerseits wusste ich, dass Aistulf ein zehnmal besserer Graf als Baldur sein würde. Er war um seine Leute besorgt, er verstand sich nicht nur als nehmender, sondern auch als gebender Herr und würde den Reichtum des Landes mit denen teilen, die es bevölkerten. Und was den Mord anging, wäre es mir möglich gewesen, ihm etwas anzuhängen, jedoch nur, wenn ich alles verriet, an das ich als Vikar glaubte: Wahrheit und Gerechtigkeit. Andererseits sind Wahrheit und Gerechtigkeit Begriffe der Justiz und der Religion, keine der Liebe. Elicia hatte einen Traum. Sie hatte sich ihr Leben lang auf die Rolle als Erbin ihres Vaters und künftige Herrin der Burg vorbereitet. Diesen Traum sollte ich ihr nehmen? Ebenso gut hätte man von mir verlangen können, sie von der Burgmauer zu stoßen. Ich hätte viel dabei gewonnen, Baldur des Mordes zu beschuldigen und ihm den Kopf abschlagen zu lassen, denn dann wäre der Weg für Elicia und mich frei. Aber meine Liebe war größer als meine Habgier. Ich konnte Elicia nicht wehtun. Eher würde ich Bauern leiden und Städte von einem Kriegslüsternen regieren lassen, als Elicia zu enttäuschen. Hätte es in meiner Macht gelegen, Baldur zum Grafen zu machen, ohne Aistulf das Leben zu nehmen – ich hätte es getan.
    Und selbst der letzte Schritt, der Schritt ins Finstere, war mir schon nicht mehr fremd. Ich hatte mich tatsächlich schon mit dem Gedanken getragen, Elicia den größten Beweis der Liebe zu geben und ihr das Kostbarste zu opfern, was ich besaß: meine Unbescholtenheit. Noch nie zuvor war ich in Versuchung gewesen, jemanden zu verurteilen, an dessen Schuld ich nicht glaubte.
    Ich hätte demnach froh sein sollen, die Agapidenburg, die Sündenburg, zu verlassen, mich in meine Arbeit in Konstanz zu stürzen und darin zu läutern. Doch es zerriss mir das Herz.
    Ich erfuhr, dass Aistulf ins Tal geritten war, daher verabschiedete ich mich nur von der Gräfin. Sie war außerordentlich gereizt. Ihre Augen flackerten wie bei einer Wahnsinnigen. Eigentlich hätte sie froh sein können, mich los zu sein, denn ihr Kind wuchs nun schon seit etwas mehr als neun Monaten in ihr heran und könnte sich ohne weiteres zu einem Zehnmonats- oder Elfmonatskind entwickeln. Unter solchen Umständen jenen Gerichtsherrn in der Burg zu haben, der ihr den Eid abgenommen hatte, war ihr nicht zu wünschen. Ich trachtete nicht nach ihrer Zunge und ihren Schwurfingern, und in ihrem Sinne konnte ich nur hoffen, dass auch kein anderer es tat. Anstatt sich zum Abschied jedoch gut mit mir zu stellen, machte sie mir Vorhaltungen, weil ich monatelang »wie ein Vagabund in der Burg herumgestreunt« bin, »nutzlos, ohne Verstand und deswegen ohne Ergebnis«. Sie schalt mich, weil ich, »Elicia und dem Trottel« nicht Einhalt geboten habe, indem ich der »ungarischen Teufelin den Garaus« gemacht, sondern ihrer Freilassung zugestimmt hatte. Obwohl noch niemand je so mit mir geredet hat, kann ich mich an die weitere Vikarsbeschimpfung kaum noch erinnern – lauter wirres Gerede, das ich einer Krankheit zuschrieb. Zuletzt fragte sie, ob die Inquisitio nun endgültig abgeschlossen sei. Ich antwortete wahrheitsgetreu, aber nicht ohne Boshaftigkeit: »Eine Inquisitio ist immer erst mit dem Urteil abgeschlossen.«
    Tatsächlich jedoch habe ich nicht vor, jemals wieder hierher zurückzukehren. Die Untersuchung wird auf ewig schlafen.
    So trennten wir uns, Elicia und ich: Sie kam zu mir, wir legten uns eng umschlungen auf mein Nachtlager und schlossen die Augen, bis sie irgendwann einschlief. Das war vor einer Stunde. Ich breche nun auf und beende,

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