Die Suendenburg
gelebt. Ich war gerade fertig geworden, als ich Aistulfs Pferd hörte.
Eilig gab ich Norbert letzte Instruktionen: vornehm sprechen, aber nicht zu vornehm; sich auf kein Gespräch über die Familie einlassen, bei der »er« bis vor Kurzem gelebt hat; möglichst allgemein bleiben; erwähnen, dass er sich auf die Rückkehr freut und ähnliches süßes Zeug. Ich vertraute darauf, dass Norbert ausgekocht genug war, um sich etwas einfallen zu lassen, denn die Zeit war viel zu knapp gewesen, um ihn ausreichend vorzubereiten. Es lag nun alles an ihm, ich konnte nichts weiter tun, außer beten – aber zu wem hätte ich beten sollen?
Auftritt Aistulf: »Du bist Orendel? Ich bin Graf Aistulf.«
Norbert-Orendel verneigte sich ein wenig ungeschickt. »Hochwohlgeboren.«
Aistulf lächelte. »Die korrekte Anrede wäre Erlaucht. Aber bitte, sage Aistulf zu mir. Wir sind eine Familie. Du hast immer dazugehört, Orendel, an jedem einzelnen Tag, an dem du fort warst. Du hattest doch keine Zweifel deswegen, oder? Deine Mutter sagt, sie habe dich in ihren Briefen am Leben in der Burg teilhaben lassen und dir allerlei Begebenheiten erzählt, sodass du immer auf dem Laufenden warst.«
»O ja, so war es.«
»Ich wette, sie hat auch etwas über mich geschrieben.«
»Über – über Euch, ich meine, über dich? Da muss ich – nachdenken. Das könnte schon sein.«
»Verzeih, ich wollte dich nicht aushorchen. Die Briefe deiner Mutter waren dir ein Trost, hoffe ich.«
»O ja, und was für ein Trost, ein ganz enormer – ja, gewiss, ein Trost. Ohne die Briefe hätte ich nicht überlebt.«
»Du hast sie hoffentlich aufbewahrt.«
»Aufbewahrt? Ja, irgendwo müssen sie sein. Da muss ich – mal wieder – nachdenken. Gewiss habe ich sie noch. Sie sind mir so ans Herz gewachsen, dass ich sie nie hergeben könnte. Eher sterbe ich.«
»Damit brauchst du es nicht eilig zu haben. Ich fragte nur, weil ich es für eine gute Idee hielte, wenn ihr euch gegenseitig eure Briefe eines Tages noch einmal vorlesen würdet.«
»Diesen Tag sehne ich herbei.«
»Du verstehst, weshalb du vorläufig noch nicht auf die Burg zurückkehren kannst?«
»Na, vollkommen.«
»Ich hatte schon überlegt, ob wir dich nicht in ein einfaches Gewand stecken, so als gehörtest du zum Gesinde, verstehst du? Und dann würden wir dir ein kurzes Wiedersehen mit deiner Mutter ermöglichen.«
»Oh – das – ist – keine gute Idee, finde ich.«
»Wieso nicht?«
Ich hielt den Atem an.
Norbert-Orendel: »Weil – ähm – weil ich mich nie in so ein geflicktes, altes Gewand zwängen könnte.«
Aistulf zog die Augenbrauen hoch.
»Ich meine, ähm, nicht dass mir das etwas ausmachen – ausmachen würde, mich in ein …. Sie sind ja gar nicht so übel, diese einfachen Gewänder, und du sollst nicht denken, dass ich … Nein, es ist nur, versteht Ihr, verstehst du, das wäre ein – ein – ein unwürdiges Wiedersehen, so auf die Schnelle hingerotzt, ich meine eingerichtet. Und immer fürchtend, jemand könnte mich wiedererkennen.«
Nach dieser erbärmlichen Stotterei fing er sich wieder, um sich von einem Moment zum anderen großer Gesten und eines salbungsvollen Tonfalls zu bedienen.
»Wie ein Dieb müsste ich mich in das Haus schleichen, aus dem ich einst von meinem hartherzigen Vater vertrieben wurde. Na ja, sozusagen vertrieben. Nein, unmöglich, wenn ich zurückkehre, soll es im Triumph sein – vielleicht ist Triumph ein zu starkes Wort. Ich will das Licht des Tages, ich will einen Empfang und ein Fest. Ich stelle mir das so vor: Ich reite auf einem geschmückten Schimmel den Hügel hinauf. Meine Mutter und der Graf – also Ihr, ich meine, du –, ihr steht am oberen Ende der großen Treppe. Ich steige ab. Du gehst mir entgegen und geleitest mich die Treppe hinauf, wo mich die Gräfin, also meine Mutter, in die Arme schließt. Der Hof applaudiert. Und wenn irgendwo eine Krone – oder wenigstens ein Krönchen – aufzutreiben wäre, würde mich das sehr glücklich machen.«
Aistulf verharrte, und ich schloss die Augen. Beim Leibhaftigen! Hatte dieser Mann noch alle Sinne beieinander? Was war denn das für ein Mumpitz! Ich schwor mir: Sollte ich diesen Tag überleben, würde ich Norbert-Orendels Kopf in Eiswasser tunken, bis der letzte Blubber ihm aus dem Maul gestiegen wäre.
Krönchen! Die Fresse hätte ich ihm einschlagen wollen mit diesem Krönchen.
Raimund sah aus, als würde er sich im nächsten Augenblick dem Graf zu Füßen werfen und um Gnade
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