Die Sündenheilerin (German Edition)
warum die Menschen zu mir kommen. Damit ich ihnen helfe, ihre inneren Dämonen zu bannen.«
»Was seht Ihr hier, Frau Helena? Dämonen oder Engel?«
»Ich sehe einen Mann, der alles tut, um gegen seinen Schmerz anzukämpfen.«
Philip seufzte. »Ganz die Heilerin, die es nicht lassen kann, in den Seelen der Menschen zu lesen.«
»Ist Euch das so unangenehm?«
»In der Tat, das ist es.«
»Vielleicht könnte ich Euch helfen.«
»Ich brauche keine Hilfe.« Seine Stimme klang fast barsch.
»Das mag sein. Aber ich würde mich gern erkenntlich zeigen. Ihr habt mir das Leben gerettet. Da wäre es doch nur billig, wenn Ihr mich versuchen lasst, Eure Seelenflamme zurück ins Gleichgewicht zu bringen.«
»Wenn das mit irgendeinem schnellen, magischen Ritual zu bewerkstelligen ist, könnt Ihr es gern versuchen.«
»Ihr wisst genau, dass es so nicht möglich ist. Was hat Euch so aus dem Gleichgewicht geworfen?«
Er schwieg.
»Es hat mit dem Tod Eures Vaters zu tun, nicht wahr?«
»Wir müssen wieder nach oben, bevor Said sich Sorgen macht.«
»Im Ausweichen seid Ihr geschickt.«
»Und Ihr seid beharrlich.«
»Das bin ich«, antwortete Lena, ehe sie den Rückweg in die obere Höhle antraten.
»Vielleicht ist es besser, wir harren hier bis zum Morgengrauen aus«, schlug Said vor. »Hier sucht uns niemand mehr, aber wenn die Verfolger noch die Gegend durchstreifen, könnten wir ihnen in die Arme laufen.«
»Was meint Ihr, Frau Helena?«, fragte Philip. »Es geht um Eure Sicherheit, also sollt Ihr die Entscheidung treffen.«
Lena zögerte. Bevor sie mit Philip in die große Höhle gestiegen war, hätte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als möglichst schnell nach Sankt Michaelis zu kommen, der Mutter Oberin die Wahrheit zu erzählen und sie zu bitten, Schwester Ludovika rasch zurückzuholen. Doch inzwischen schweiften ihre Gedanken immer wieder zu Philip und seinem Geheimnis. Je mehr Zeit sie mit ihm verbringen konnte, umso eher konnte sie ihm vielleicht helfen. Wenn er denn bereit war, sich ihr zu öffnen.
»Said hat recht«, sagte sie. »Ich würde mich zudem gern ein wenig ausruhen.«
Philip trat zu seinem Pferd und zog eine dicke Wolldecke aus der Satteltasche.
»Ich glaube, die könnt Ihr heute Nacht gut gebrauchen.«
»Und Ihr?«
»Ich habe noch eine zweite.« Da war es wieder, dieses Lächeln, das in seinen Augen begann, noch ehe es den Mund erreichte. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass er auch Martins Neffe war. Sie verglich ihn mit ihrem toten Bräutigam, suchte nach Ähnlichkeiten, als könnten die erklären, weshalb sie sich trotz aller Gefahren so geborgen fühlte. Doch sie fand nichts dergleichen. Wo Martin sie in seine Seele hatte blicken lassen, blieb Philip verschlossen.
Nein, ich mache mir etwas vor, dachte sie. Martin war niemals offen zu mir. Sein Herz schlug für Elise, die ganze Zeit. Sofort versuchte Lena den unangenehmen Gedanken niederzukämpfen. Martin war tot, es war nicht mehr von Belang, was er getan hatte. Vergebens. Die Bitterkeit blieb. Wenigstens vertrieb sie das schlechte Gewissen, das Lena Elise gegenüber seit der Flucht plagte.
Sie wickelte sich in Philips Decke ein. Ein leichter Geruch nach Tannennadeln haftete an der Wolle sowie der Hauch eines Dufts, den sie nicht zuordnen konnte. Fremdländisch, irgendwie verlockend.
»Mögt Ihr mir von Eurem Heim in Alexandria erzählen?«
Philip hatte sich ein Stück weiter neben Said niedergelegt und in die zweite Decke eingehüllt.
»Ich dachte, Ihr wolltet Euch ausruhen.« Die Überraschung war ihm deutlich anzuhören.
»Glaubt Ihr, ich könnte sofort einschlafen?«
Eine Weile herrschte Schweigen. Schon glaubte sie, er werde nichts mehr sagen, doch dann antwortete er.
»Mein Heim in Alexandria … Eigentlich ist es das Haus meines Großvaters.« Seine Stimme klang anders als bei den Erzählungen, die er an der Tafel des Grafen zum Besten gegeben hatte. Leiser, viel gefühlvoller. Offenbarte sich hier der wahre Philip?
»Mein Großvater erzählte mir oft die Geschichte unseres Hauses. Seine Fundamente stammen noch aus römischer Zeit. Es soll damals einem sehr einflussreichen Römer gehört haben. Angeblich war er einer unserer unmittelbaren Vorfahren. Es gibt sogar noch eine alte Gruft, in der sieben römische Steinsarkophage stehen. Als Kinder stiegen Said und ich oft heimlich in den Keller hinunter, weil es hieß, die Geister der Toten würden dort wachen.«
»Habt Ihr sie jemals getroffen?«
»Nein. Aber später
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