Die Sündenheilerin (German Edition)
dass ich mich verstecke?« Sie stellte die Frage, obwohl sie genau wusste, dass er die Wahrheit sprach.
»Weil Euch nichts anderes übrig blieb. Ihr musstet Euch verstecken, damit die Menschen Euch nicht immer wieder mit ihrem falschen Mitleid belästigen, aber in Wirklichkeit nur hören wollen, wie es denn war, als alle niedergemetzelt wurden. Weil Ihr auf anderem Wege niemals mehr die Herrschaft über Eure schlimmsten Erinnerungen behalten könnt. Weil Ihr sonst jedes Mal fürchten müsst, irgendeiner dieser mitleidigen Menschen zwingt Euch mit geheuchelter Anteilnahme, Euch abermals der Vergangenheit zu stellen.«
Es lag so viel Leidenschaft in seiner Stimme. Leidenschaft und Schmerz. Er sprach nicht von ihr, sondern von sich selbst.
»Ich werde Euch niemals wieder fragen, was Euch widerfahren ist, Herr Philip.«
Für einen Moment nahm sie trotz der Dunkelheit das überraschte Blitzen seiner Augen wahr, doch sie wich seinem Blick aus und drängte sich an ihm vorbei zurück in die Höhle.
Als die Sonne vollends aufgegangen war, brachen sie auf. Es gab nur eine Veränderung im Gegensatz zur vergangenen Nacht. Philip ließ sie nicht mehr vor sich im Sattel sitzen, sondern hinter sich. Sie musste ihn nicht nach dem Grund fragen. Im Notfall wollte er das Schwert rascher zur Hand haben, und das fiel ihm mit ihr im Rücken leichter, als wenn sie vor ihm saß.
»Haltet Euch gut fest«, forderte er sie auf. Zaghaft schlang sie ihm die Arme um den Oberkörper.
»Ich sagte, Ihr solltet Euch gut festhalten. Ich will nicht, dass Ihr stürzt.«
»Besser, ich stürze allein, als dass ich Euch mit hinunterreiße.«
Philip lachte. »Das wird nicht geschehen. Ich bin mit meinem Pferd verwachsen.«
Was hätte die Mutter Oberin wohl gedacht? Oder Tante Margarita? Schicklich war es nicht, doch blieb ihr etwas anderes übrig? Zumal es ihr nicht unangenehm war, sich derart nahe an ihn zu pressen und festzustellen, dass es sein Duft war, den sie letzte Nacht in der dicken Decke so anziehend gefunden hatte.
Philip schlug einen leichten Galopp an, bei dem sie weich und sicher hinter ihm sitzen konnte. Said lenkte seinen Fuchs wie gewöhnlich neben Philip, doch waren beide Männer erstaunlich still. Lag es an ihrer Gegenwart? Oder witterten sie eine Gefahr, die ihr verborgen blieb? Lauschten sie auf Verfolger?
Sie waren etwa eine Stunde lang geritten, als Philip plötzlich sein Pferd zügelte. Sofort hielt auch Saids Fuchs an.
»Was ist?«, fragte Lena.
Philip zischte leise, um sie zum Schweigen zu bringen. Unwillkürlich schlang sie ihm die Arme fester um den Oberkörper.
»Zwei oder drei?«, flüsterte Said.
Philip antwortete nicht, sondern zog sein Schwert. Lena schlug das Herz bis zum Hals. Wollte er wirklich kämpfen? Mit ihr im Rücken?
»Fünf«, flüsterte er zurück. »Drei vorn, zwei hinter uns. Halt mir den Rücken frei!«
Seine Linke streichelte kurz über ihre schweißnassen Hände, die sie vor seinem Leib ineinander verkrallt hatte.
»Haltet Euch gut fest«, flüsterte er. »Es wird alles gut.«
Selbst wenn er eine Antwort erwartet hätte, sie hätte keinen Ton herausbekommen.
Das Strauchwerk knackte. Dumpfe Hufschläge. Kamen sie von vorn oder von hinten? Lena wusste es nicht. Sie spürte, wie Philips Rückenmuskeln sich anspannten, obwohl er äußerlich ruhig blieb. Drei Reiter brachen zwischen den Sträuchern hervor. Der mittlere schien der Anführer zu sein, schwarzbärtig, mit einem zerrissenen Kettenpanzer, der Lena an ein Hemd erinnerte, an dem sich das Garn auflöste. Seine beiden Begleiter sahen völlig nichtssagend aus, wie Tagelöhner. Nur die Schwerter in ihren Händen passten nicht dazu.
Saids Fuchs schnaubte, tänzelte unruhig einige Schritte zurück. Lena verstand genug von Pferden, um zu wissen, dass ein Pferd nicht freiwillig rückwärts ging. Ob Said sich gerade darauf vorbereitete, Philip den Rücken frei zu halten? Sie zu schützen? Waren da wirklich zwei weitere Männer hinter ihnen?
»Schau an, Theas liebster Bettgefährte hat sich ein neues Weib gesucht.« Der Schwarzbärtige lachte dreckig. »Das wird ihr nicht gefallen.«
»Das lass meine Sorge sein. Und nun geh mir aus dem Weg.«
»Das hättest du wohl gern. Ich werde Gundula zwei Hühner bringen, damit sie die ihren alten Göttern opfert, zum Dank dafür, dass ich dich heute auszahlen kann.«
»Dann pass nur auf, dass du dir nicht wieder wehtust.«
Ohne Vorwarnung trieb Philip seinen Wallach an und galoppierte den drei
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