Die Sündenheilerin (German Edition)
nicht«, gab Philip zu. »Vermutlich hast du recht, Said. Aus ihren Handlungen können wir nur schwer auf ihre Gefühle schließen.«
Der kleine Araber schmunzelte.
»Was ist so lustig?«
»Zum ersten Mal, seit wir Alexandria verlassen haben, gibst du zu, dass wir beide anders sind als die Menschen in diesem Land. Wir beide, nicht nur ich. Wir gehören beide in die helle, freundliche Welt Ägyptens, in der die Kälte uns nur in klaren Wüstennächten küsst, wie damals, als wir im Schatten der Pyramiden Schakale jagten. Du magst ein Christ sein, und dein Vater war ein deutscher Ritter, aber du bist trotz allem mehr ein Sohn der Wüste als ein Kind der dunklen Wälder.«
»Habe ich das je bestritten?«
»Nicht mit Worten, nur mit Taten. Wenn du schweigsam wie die Abendländer bist, in dich gekehrt und keinem einen Blick in deine Seele gönnst. Da ist es mir doch lieber, wenn du unsere Taten in einem viel zu hellen Licht erstrahlen lässt, so wie du es gestern getan hast.«
»Ach, tatsächlich? Dafür war dein Tritt aber reichlich fest.«
»Ich fürchtete, deine Beredsamkeit würde davongaloppieren wie ein wilder Hengst, den wir nie mehr einfangen können. Und dann würden alle glauben, ich sei ein berühmter Hekim, während ich in Wahrheit niemandem helfen könnte.«
»Mach dich nicht kleiner, als du bist. Für mich bist du der größte Hekim, denn ohne dich würde ich längst nicht mehr leben.«
»Jetzt übertreibst du schon wieder.« Said seufzte.
Philip lachte. Auf einmal war die Schwere von ihm genommen, die ihn seit gestern Nacht umfangen gehalten hatte. War es nur das lieb gewonnene Wortgeplänkel mit Said, oder waren es die warmen Sonnenstrahlen, welche die kalte Morgenluft in diesem Augenblick endgültig vertrieben und einen Hauch von Sommer über das Land legten?
»Los, komm Said, lass uns sehen, wer als Erster dort vorn bei der Eiche ist!« Gleichzeitig drückte er seinem Pferd die Fersen in die Flanken und galoppierte davon.
»Nennst du das vielleicht ritterlich?«, hörte er Said hinter sich rufen.
»Du weißt doch, wie ich bin!«, rief er fröhlich zurück. Der frische Galopp tilgte die letzten trüben Gedanken aus seiner Seele.
3. Kapitel
D er Morgen war kühl und doch so strahlend, wie Lena ihn sich erträumt hatte. In aller Frühe hatte sie die Fensterläden geöffnet, um den jungen Tag zu begrüßen. Ein glutroter Sonnenball erhob sich über den Frühlingswäldern und schickte seine zarten Strahlen durch den Hochnebel. Vögel sangen das erste Lied der Liebe, und das Rauschen der Bode war selbst hier oben zu hören. Unter ihren bloßen Füßen spürte Lena die weichen Schafsfelle und das blanke Holz der Dielen. Auf einmal war ihr danach, wie früher über duftende Blumenwiesen zu laufen, barfüßig, mit offenem Haar. Wie seltsam es doch war, so viel Leben in sich zu spüren.
Ihre Freude hielt den ganzen Morgen an. Ohne an Ludovikas Tür zu klopfen, stieg sie den Turm hinab, um die erwachende Burg allein zu erkunden. Längst war jegliche Spur des gestrigen Unglücks im Prunksaal getilgt und die prächtige Tafel abgetragen. Im Kamin glomm noch die Glut der letzten Nacht, doch kein Mensch war weit und breit zu sehen.
Lena stieg weiter hinunter und betrat den Hof. Die Morgenluft prickelte angenehm auf ihrer Haut. Jetzt, im ersten Schein des Tages, konnte sie die Nebengebäude besser erkennen. Es waren kleine Fachwerkbauten; in einem lag die Küche, daneben gab es Stallungen und ein Brunnenhaus.
Das fröhliche Bellen eines Hundes ließ sie herumfahren. Es war der große graue mit den Schlappohren. Mit wildem Schwanzwedeln begrüßte er seinen Herrn, der soeben aus dem Stall trat. Nun erst erkannte Lena, wie groß das Tier tatsächlich war. Es reichte Dietmar bis zur Hüfte. Noch während der Graf den Hund streichelte, fand er Lenas Blick.
»Guten Morgen. Ihr seid früh auf den Beinen, Frau Helena.«
Wieder fiel ihr auf, wie blau seine Augen waren.
»Guten Morgen, Herr Dietmar.« Langsam trat sie näher. Der Hund hörte auf zu bellen und lief ihr schwanzwedelnd entgegen. Seine feuchte Nase suchte ihre Hand, als wolle er sie ebenfalls begrüßen. Sie strich ihm vorsichtig über den Kopf. Sein Fell war weich und fest zugleich.
»Hasso mag Euch.« Graf Dietmar war einen Schritt auf sie zugekommen. »Und Ihr mögt Hunde auch, wie es mir scheint.«
»Wenn sie so freundlich sind wie Hasso.« Sie streichelte das Tier jetzt etwas mutiger. »Wie geht es Eurem Weib?«
Das Lächeln
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