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Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)

Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)

Titel: Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brett McBean
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Welt. »Wer ist da?«
    Ein Rülpsen, ein Seufzen. Und dann hallt die rußige Stimme von den harten, rissigen Wänden wider: »Niemand. Ein Freund. Ein Feind. Was auch immer.«
    Die Stimme fühlt sich vertraut an, aber ich komme nicht darauf, woher ich sie kennen könnte. Ich stehe auf, gehe einen Schritt, zwei, drei – und bleibe stehen. Ich kann den blutigen Geruch des Metalls vor mir riechen. »Wie bist du hier reingekommen?«
    Der Mann, der im Schneidersitz vor mir hockt, ist in Schatten gehüllt. Er riecht nach nassen Handtüchern und altem Klo-Stein. Er nimmt einen Schluck aus seiner Papiertüte. »Die Frage ist, wie bist du hier reingekommen?«
    Ich öffne meinen Mund, um zu antworten, aber stattdessen frage ich: »Was hast du damit gemeint, ›es bist schon immer du gewesen‹?«
    Es klingt, als ob der alte Mann – woher weiß ich, dass es ein alter Mann ist, wenn ich sein Gesicht nicht sehen kann? – Kieselsteine zermahlt, aber dann wird mir bewusst, dass er lacht. »Du gibst diesem Ort die Schuld an deinen bösen Gedanken, aber dieser Ort gibt dir die Schuld.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Der Fremde kratzt sich und die Papiertüte raschelt. Die Tüte riecht verdächtig nach Wein – nicht nach einem edlen Tropfen. Er nimmt einen weiteren Schluck aus der Tüte. »Nein, ich schätze, das tust du wohl nicht«, erwidert er.
    »Gib mir auch was ab.«
    »Besorg dir doch selber was«, entgegnet er.
    »Das werde ich, morgen, wenn ich gehe, aber jetzt brauche ich was von deinem Zeug.«
    Der alte Mann johlt vor Lachen. Er sitzt auf der anderen Seite der Freiheit. Ein schwarzer Klumpen.
    »Wache!«, brülle ich. »Hey, hier ist irgendein Penner und er gibt mir nichts von seinem Fusel ab …«
    Und dann wache ich auf. Ich schaue sofort zum Ende meines Bettes, aber da ist kein alter Mann hinter den Gitterstäben.
    Ein Traum, denke ich und lächele, aber nicht wegen des Traums, sondern weil es bedeutet, dass ich geschlafen habe. Allerdings bedeutet die Tatsache, dass ich darüber nachdenke, dass ich nun wieder wach bin. Und weil es noch immer dunkel ist, erstirbt mein Lächeln wieder.
    »Verflucht«, murmele ich. Ich will doch einfach erst wieder zu mir kommen, wenn auch die Sonne es tut, aber es scheint, als sei ich dazu verdammt, alle fünf Minuten wach zu werden.
    Aber es war wirklich ein seltsamer Traum. Ich schnuppere in die Luft. Mir steigt der Geruch alter, verschwitzter Handtücher in die Nase – und ein Aroma, das mich nur allzu sehr an jene Nacht erinnert, in der ich ins Bett gepinkelt habe.
    Es ist der Geruch des alten Mannes, aber er selbst ist nicht da. Da ist nichts als leerer Raum.
    Ich lege mich hin, schließe die Augen und versuche, mir die Stimme des Typen ins Gedächtnis zurückzuholen. So vertraut, dem tiefen Knurren meines Vaters nicht unähnlich. Seine Stimme hat mir immer Angst gemacht, als ich noch klein war – er hat mir Angst gemacht. Er hat sich die Pulsadern aufgeschlitzt, als ich elf war, aber das, was aus ihnen herausströmte, sah eher aus wie Rotwein, nicht wie Blut. Er war gerade mal 40, als er starb, aber in meinen jungen Augen sah er uralt aus. Anscheinend sehe ich meinem Vater sehr ähnlich – die gleichen schmalen Augen, vollen Lippen und dunklen, welligen Haare –, aber ich selbst sehe diese Ähnlichkeit nicht.
    Ich liege da, meine Hände auf meinem Herzen, die Augen vor der Dunkelheit verschlossen, und versuche einzuschlafen, aber der Schlaf ist wie Wasser, das einen Fluss hinunterströmt – da, und doch nicht da. Ich kann ihn nicht greifen. Mit einem schweren Seufzer öffne ich die Augen und setze mich auf.
    Das hier ist die ultimative Strafe. Irgendwie hat die Wache einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und dafür gesorgt, dass die Nacht doppelt so lange dauert wie sonst. Dieses Schwein!
    Ich will doch nur, dass der Morgen die Nacht ganz sanft streichelt, selbst das noch so kleinste Anzeichen wäre bereits ein Segen. Aber nein, die Nacht ist bleischwer, unbeweglich, stur und scheint mich noch nicht so bald verlassen zu wollen.
    Ich habe Angst, auf die Uhr zu sehen, Angst vor den Schrecken, die sie mir zeigt, deshalb bleibe ich auf meinem Bett liegen, drehe mich um und starre auf die Wand. Die Wand, die mir während meines gesamten Aufenthalts ein ständiger Freund und Begleiter gewesen ist. Ich strecke meine Hand aus und streiche über die unzähligen Rillen, Kerben und Risse – allesamt so vertraut. Ihre Geheimnisse haben mir geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Was

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