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Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)

Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)

Titel: Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brett McBean
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Heute Nacht ist es totenstill.
    »Die Uhr ist nicht kaputt, du bist es.«
    Ich wirbele herum, stehe mit dem Rücken zu den Stäben und starre den alten Mann an, der wie eine dunkle, stinkende Statue erneut neben meinem Bett steht. »Wie bist du …?«, keuche ich und meine Lippen verzerren sich zu einer Grimasse. »Wie bist du hier reingekommen?«
    Er schüttet sich noch mehr aus der Papiertüte die Kehle hinunter. Sein Geruch gleicht einer zähen Masse aus Fäulnis und er treibt mir das Wasser in die Augen und dreht mir den Magen um. »Denkst du, du bist schon bereit zu gehen?«
    »Natürlich«, antworte ich.
    »Wirklich?«
    Ich nicke.
    »Denkst du, dieser Ort ist bereit, dich gehen zu lassen?«
    »Ich …« Ich weiß es nicht. Ich habe nicht sehr viel darüber nachgedacht, aber das sage ich ihm nicht. »Es ist nur ein Ort.«
    »Nur ein Ort«, knurrt der alte Mann. »Und das hier ist nur eine Papiertüte.« Er lacht und es jagt mir eine eiskalte Welle über den Rücken.
    »Ich …«
    »… verstehe nicht? Doch, das tust du.«
    »Ich will einfach nur aufwachen und die Sonne aufgehen sehen. Ich will diesen Ort einfach nur hinter mir lassen. Zumindest das habe ich verdient.«
    »Du willst aufwachen?«
    »Ja. Aber ich schlafe ja gar nicht. Ich muss erst einschlafen.«
    Der alte Mann grinst. Ich weiß das, obwohl ich ihn nicht sehen kann. Ich kann sein durchtriebenes Grinsen förmlich spüren. Plötzlich liege ich wieder in meinem Bett. Ich setze mich auf und sehe mich um. Ich bin ganz allein und die Dunkelheit ist wie eine Klaue, die meine Zelle fest im Griff hat und nie wieder loslassen will.
    Ich spüre, wie mir Tränen über die Wangen rinnen, aber ich werde nicht aufstehen und auf die Uhr sehen. Ich kann nicht, ich lasse nicht zu, dass meine geistige Gesundheit weiter mit Füßen getreten und geschlagen wird.
    Warum nimmt diese Nacht kein Ende? Ich weine innerlich und ich stehe aus meinem Bett auf und trete ans Fenster, schaue hinauf, spüre den Hauch einer Brise. Durch die Gitterstäbe sehe ich die Sterne und dann zieht eine Wolke vorbei, die aussieht wie eine tote, nackte Frau. Ich bleibe lange Zeit so stehen und denke daran zurück, wie ich auch in meinen dunkelsten Stunden oft hier stand und träumte, die Brise sei der Atem einer kurvigen Blondine oder einer geheimnisvollen Brünetten. Ich konnte Pfirsiche, Vanille oder Erdbeeren riechen und stellte mir vor, wie sich Lippen auf meine pressten. Ich stellte mir nie ein Gesicht vor, der Gedanke allein war gut genug und er trug mich aus diesem Kerker in eine Welt voller Möglichkeiten, in der die Autos schnell und die Frauen reif für die Ernte waren. Meine Welt, eine Welt …
    »… die nicht existiert«, sagt der alte Mann.
    Meine Visionen zerplatzen und ich wirbele herum, stoße einen kurzen Schrei aus. »Ich dachte, du wärst verschwunden.«
    Der alte Mann kauert nun in einer Ecke, die Papiertüte neben sich auf dem Boden, während der säuerliche Geruch von Erbrochenem die Melange der anderen beißenden Dämpfe auf unerfreuliche Weise ergänzt.
    »Du verarschst dich selbst nur und das weißt du auch«, krächzt der alte Mann, dessen Gesicht noch immer im Schatten verborgen liegt. »Du trägst den Dämon noch immer in dir und das wird auch immer so bleiben. Ich muss es schließlich wissen.«
    »Nein … ich …«, stottere ich, blicke zu den Gitterstäben und frage mich, ob sie bereits geöffnet sind, ob ich vielleicht schon gehen darf. Aber nein, die Stäbe sind noch immer an ihrem Platz und es ist immer noch Nacht. Aber warum nur? Warum will der Morgen nicht kommen?
    »Bist du mein Vater?«, frage ich.
    Der alte Mann nickt. »Ich will dir eine Frage stellen: Was wartet dort draußen auf dich?«
    »Alles Mögliche«, antworte ich und die Wand fühlt sich ganz kalt an meinem Rücken an.
    Mein Vater gluckst. »Zum Beispiel?«
    »Na ja …«
    »Du hast keine Frau und keine Kinder. Deine Mutter will mit ihrem Vergewaltiger-Sohn nichts mehr zu tun haben.«
    »Leck mich«, spucke ich aus, aber die Spucke enthält kein Gift.
    »Aber hier, nun, hier hast du alles, was du brauchst …«
    »Ich hasse es hier«, unterbreche ich ihn. Es ist die Wahrheit. Das tue ich wirklich, ich hasse die Routine, die erdrückende Langeweile. Ich hasse den Beton und das Metall und das Plastik und die Nummern. Der Geruch von Blut, Sperma und Schweiß verursacht mir Kopfschmerzen und führt dazu, dass sich mir die ganze Wirbelsäule zusammenzieht. »Ich will einfach nur, dass der Morgen

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