Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Tisch lagen: ein Zwanziger und ein Zehner. Er lächelte.
Er war der Ansicht gewesen, 30 klänge nach einem fairen Preis. Der Mann schien bereit gewesen zu sein, diesen Preis zu bezahlen.
Mehr als bereit, dachte Almus und fragte sich, was der Mann wohl zu verbergen hatte. Vor welchem Kapitel aus seiner Vergangenheit er davonzulaufen versuchte.
Es hatte irgendetwas mit seiner Frau zu tun, da war Almus sich sicher. Tot? Nein. Sie war nicht tot, das spürte Almus. Er hatte schon viele Menschen gesehen, während er hier am Straßenrand gesessen hatte, aber keiner von ihnen hatte gekauft, was der Mann gekauft hatte. Nur eine ganz besondere Art von Mensch tauschte seine Seele ein: leidende, verlorene Menschen.
Mit Schmerzen kannte Almus sich nur allzu gut aus.
Nicht mehr lange, hoffte er.
Er machte sich keine allzu großen Sorgen. Er wusste, dass der Mann die Dose letzten Endes öffnen würde.
Neben dem Geld, mit dem der Mann bezahlt hatte, lag ein weiterer Zehn-Dollar-Schein. Nur dass er sehr viel älter war: Alexander Hamilton verblasste bereits und Knicke durchzogen das grüne Papier wie Risse einen zerbrochenen Spiegel. Ein Erinnerungsstück. Als hätte Almus wirklich noch eines gebraucht.
Damals war alles viel billiger, dachte Almus melancholisch.
Er hatte dem Mann aus Australien wirklich den perfekten Hinterwäldler vorgespielt. Almus war vielleicht nicht unbedingt das, was man einen Intellektuellen nennen würde, aber er war auch nicht der Trottel, für den der Mann ihn nun vermutlich hielt. Es war einzig und allein um den Verkauf gegangen und Almus hatte ganz genau gewusst, was er tun und sagen musste, um ihn abzuschließen, ohne den Mann zu nötigen, die Blechdose zu kaufen.
Die Nacht hatte ihren schwarzen Mantel inzwischen vollständig ausgebreitet und die Bestien begannen wie aufs Stichwort mit ihrem Kanon: Die Wölfe jaulten, die Füchse bellten, die Eulen riefen und die Grillen zirpten.
»Ich höre euch«, gab Almus zurück. »Quält mich, solange ihr wollt, ich werde nicht klein beigeben.«
Er konnte es spüren – sie alle wussten, dass er noch heute Nacht gehen würde.
Und er nahm wahr, dass ihn hinter dem Schein der Lampen 1000 Augen anstarrten, die ihn hassten und ihn verfolgten.
Sie wünschten sich, das zu haben, was er hatte. Oder besser gesagt: dass der Mann stattdessen eine ihrer Dosen gekauft hätte.
Almus blickte zu den über ihm hängenden, mit Insekten bedeckten Kadavern empor.
Das Gejaule, Heulen und Zischen klang wie eine Symphonie der Verachtung, aber sie konnte Almus nichts mehr anhaben. Genau wie den ständigen Schmerz, der immer wieder durch seinen ausgezehrten Körper schwappte, würde er auch sie schon sehr bald los sein.
Die Stelle an seinem Hinterkopf, an der ihn die Kugel getroffen hatte, bereitete ihm den größten Kummer. Aber auch der Rest seines Körpers, der von einem Auto überfahren worden war, machte es ihm schier unmöglich, sich zu bewegen, ohne dass ein entsetzlicher Schmerz hindurchschoss. Es gab nichts, was er gegen diesen Schmerz tun oder einnehmen konnte. Alles, was ihm blieb, war das, was er nun schon seit mehr als 30 Jahren tat – er wartete.
Craig öffnete eine Dose Coors Light und nahm einen dringend benötigten Schluck.
Das Bier war für seinen Geschmack zu warm, aber es half, der schmerzlichen Erinnerung, die Almus unwissentlich heraufbeschworen hatte, den Stachel zu ziehen. Außerdem würde ihn nach einem halben Dutzend Dosen nicht mehr interessieren, ob es lauwarm war oder nicht.
Überfahrene Tiere zu verkaufen. Gut und frisch.
Seelen zu verkaufen.
Mein Gott, dachte Craig.
Rachel.
Gottverdammt.
Er musste aufstoßen. Sein Rülpsen schmeckte nach einer Mischung aus Trockenfleisch, Käse und Snickers – das beinahe komplett geschmolzen gewesen war – und er trank einen weiteren Schluck von seinem Bier. Sein Zelt war aufgebaut und er hatte etwas gegessen. Als die Nacht kühler geworden war, hatte er ein Feuer auf der kleinen Lichtung angezündet, über die er auf der Suche nach einem guten Platz für sein Nachtlager gestolpert war. Es gab nun nichts mehr für ihn zu tun – außer seine Erinnerungen zu ertränken und zu versuchen, ein wenig Schlaf zu finden.
Die Kreaturen der Nacht riefen einander etwas zu, dessen Bedeutung nur sie allein entschlüsseln konnten. Für Craig klangen ihr Gejaule und ihr Geheul wie höhnisches Gelächter. Irgendwie schienen sie über Rachel Bescheid zu wissen. Darüber, was aus ihr geworden war und wie er sie
Weitere Kostenlose Bücher