Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
darauf wartete, sich mit tödlichen Klauen auf ihn zu stürzen? Oder auf acht haarigen Beinen über ihn hinwegzukrabbeln? Oder ihm mit einem tödlichen Stachel einen Stich zu versetzen?
Er war hier draußen ganz allein, meilenweit von der nächsten Stadt, einem Arzt oder einem Krankenhaus entfernt. Das Einzige, das hier draußen einem Stück Zivilisation gleichkam, war – soweit Craig wusste – Almus mit seinem Verkaufsstand an der Straße.
Kein sehr tröstlicher Gedanke.
Craig konnte sich nicht daran erinnern, neben dem Stand ein Auto oder wenigstens ein Fahrrad gesehen zu haben.
Entweder wohnte der alte Kauz in der Nähe oder er musste einen langen Fußweg auf sich nehmen, wenn er zur Arbeit ging.
Craig hielt den Deckel ganz fest und schüttelte die Dose. In ihrem Inneren klapperte nichts.
Er stieß ein nervöses Seufzen aus. Ist wirklich leer.
Er kicherte.
Er stellte die Dose ab, beugte sich nach vorne und schnappte sich eine neue Bierdose. Er öffnete sie und leerte sie mit großen Schlucken, während er dem prasselnden Feuer und den Schreien der Tiere lauschte.
Kein Gelächter mehr, dachte Craig. Ihre Schreie klangen nun intensiver, fast lockend.
Sie wollten, dass er die Dose öffnete.
Danach hast du die ganze Zeit gesucht, schienen sie ihm zuzurufen. Du hast dafür bezahlt, warum machst du sie nicht auf? Sie gehört dir. Bist du denn kein bisschen neugierig?
Vielleicht hält sie ja ein paar Antworten für dich bereit. Du willst Rachel doch hinter dir lassen, nicht wahr?
Öffne sie und finde es heraus.
»Ach, drauf geschissen«, murmelte Craig, tauschte in seiner Hand Bierdose gegen Blechdose und öffnete den Deckel.
Ein fauler Geruch, eine Mischung aus Sumpfgas und totem Fleisch, strömte Craig entgegen und legte sich wie eine dichte Wolke um seinen Kopf.
»Igitt!«, keuchte er und warf die Dose auf den Boden. Sie rollte auf das Feuer zu. Craig wollte nicht, dass sie in den Flammen landete. Er sprang auf, aber die Dose blieb vor dem Feuer liegen.
Der Gestank verzog sich nicht.
Craig wandte sich von den Flammen ab und würgte. Er hatte Angst, bereits zu viel von dem eingeatmet zu haben, was er aus der Dose befreit hatte – was immer das auch gewesen sein mochte.
Aber wie viel ist wohl zu viel? Scheiße, ich weiß ja noch nicht mal, was es ist, was ich da inhaliert habe. Chemikalien? Gefährliches Gas? Die Überreste von verschimmeltem Käse?
Er spuckte Schleimklumpen auf den Boden und wusch sich anschließend das Gesicht mit dem übrig gebliebenen Bier ab. Er konnte den ranzigen Geruch noch immer riechen und auf der Zunge schmecken.
Ich habe 30 Dollar für eine giftige Dose ausgegeben!
Das würde er Almus heimzahlen. Er würde zurück zu diesem Straßenrand fahren, sämtliche Dosen öffnen und Almus’ abstoßende, geldgierige Fresse in jede einzelne seiner faulig riechenden Dosen drücken, bis er daran erstickte.
Mit einem Mal wurde die Nacht totenstill.
Sämtliche Tiergeräusche verstummten. Allein das Knistern des Feuers hallte in den düsteren, schattigen Wäldern wider.
Craigs Herz, das ohnehin bereits wie wild raste, klopfte noch schneller und kalter Schweiß triefte aus jeder einzelnen Pore seines Körpers.
Es war viel zu still.
Dann eine Stimme: »Ich danke dir.«
Craig schnappte nach Luft. »Wer ist da?« Er starrte auf die Bäume, in die Richtung, aus der die Stimme gekommen zu sein schien. »Ich bin bewaffnet, also zeig dich besser.«
Er hatte weder eine Pistole noch irgendeine andere Waffe. Er glaubte nicht an Waffen.
Jetzt wünschte er sich allerdings, er täte es.
Denn aus den Wäldern trat Almus.
Nur dass er ganz anders aussah.
»Bleib stehen«, warnte Craig ihn mit bebender Stimme.
»Ich wusste, dass du sie früher oder später öffnen würdest«, sagte Almus und grinste. »Das liegt in der menschlichen Natur. Ich weiß das.« Während er sich Craig weiter näherte, zwinkerte er ihm zu, aber dabei rollte sein Augapfel aus der Höhle und blieb abrupt in der Luft hängen, als der Nerv, an dem er noch hing, nicht mehr weiter reichte. Wie ein blutiges Jo-Jo hüpfte der Augapfel ein paarmal auf und ab, bevor er auf Almus’ Brust zur Ruhe kam.
Craig wimmerte. Das Bier, das er getrunken hatte, wollte sich unaufgefordert wieder aus ihm herausdrängen.
»Schon komisch, dass du dir gerade diese Lichtung ausgesucht hast. Hier draußen in den Wäldern habe ich meinen Körper beerdigt. Weißt du, ich bin auch nicht anders als all die Tiere an meinem Stand«, erklärte
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