Die Sünderin von Siena
beiseite, lief die Treppe hinauf.
»Mutter!«, schrie er, als er aufgebracht in ihr Zimmer sprang. »Mutter!«
Bice, die am Fenster gesessen hatte, wie sie es jetzt fast den ganzen Tag tat, erhob sich jäh und ließ den Stickrahmen fallen. Blass wurde sie, dann rot.
»Mein Junge!« Sie wollte ihn in die Arme schließen, er aber stieß sie grob zur Seite.
»Rühr mich nicht an!«, keuchte er. »Ich bin besudelt!«
Jetzt erst wurde ihr richtig bewusst, wie elend er aussah: das Haar schmutzig und voller Sporen, Arme und Beine mit blutigen Schrammen übersät, die Kutte in Fetzen.
»Was ist geschehen? Was haben sie mit dir gemacht?« Die Stimme drohte ihr zu versagen.
» Peccatum mutum «, stieß Giovanni hervor. »Am liebsten möchte ich auf der Stelle tot sein!«
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»Ich will sie nicht sehen«, rief Matteo. »Sag ihr, sie soll wieder gehen – sofort!« Sein Pinsel fuhr so ungestüm in die Farben auf der Palette, dass Nevio unwillkürlich zurückwich.
Der Junge suchte nach den richtigen Worten: »Du irrst dich, Meister! Es ist gar nicht dieses Krötenge…«
»Niemand soll mich stören – niemand !« Matteo ließ ihn nicht ausreden. »Hast du mich verstanden?«
»Verzeiht!« Die Stimme war ruhig und klangvoll. »Ich weiß, dass ich störe, doch ich konnte nicht anders. Ihr seid Messer Minucci?«
Er starrte auf die schlanke, hochgewachsene Frau, die trotz der sommerlichen Wärme den dunklen Umhang der Mantellatinnen trug. Sie war nicht allein gekommen. Ein magerer Junge stand neben ihr, mit den abstehendsten Ohren, die Matteo je gesehen hatte. An seiner Hand hielt er ein pummeliges kleines Mädchen, das leicht abwesend wirkte.
»Ich bin Mamma Lina.« Die Spur eines Lächelns erschien um die fein geschnittenen Lippen der Frau. »Und nehme doch an, Gemma hat Euch von mir und den Kindern erzählt? Die beiden neben mir sind übrigens Lelio und die kleine Cata.«
»Was wollt Ihr?«, sagte Matteo ungehalten. »Ihr stehlt lediglich meine Zeit.«
»Nichts läge mir ferner, aber ich habe eine Nachricht von Gemma erhalten, die mich äußerst beunruhigt hat.«
»Diese Angelegenheit ist für mich erledigt.« Er drehte ihr den Rücken zu.
»Aber es geht doch um unsere Gemma!«, rief der Junge mit den Segelohren. »So darfst du nicht reden!«
»Der Gehilfe des Apothekers ist plötzlich bei mir aufgetaucht«, sagte Mamma Lina. »Zuerst wollte ich ihn nicht einmal einlassen, denn der Kerl wird mir immer unheimlicher. Dann aber hab ich es doch getan – und bin inzwischen froh darüber. ›Gemma muss wieder bei Lupo sein‹, hat er mindestens dreimal wiederholt und ganz seltsam dabei gegrinst. Das solle er mir von ihr ausrichten.«
Sie kam näher, legte ihre Hand auf Matteos Arm. »Dieser di Cecco muss sie dazu gezwungen haben«, sagte sie. »Denn aus freien Stücken wäre Gemma niemals zu ihm zurückgekehrt, das weiß ich.«
»Darüber hat man mir bereits berichtet.« Matteo tunkte den Pinsel in das Näpfchen mit dem Lapislazuli und arbeitete scheinbar ungerührt weiter. »Aber was geht mich das alles an?«
»Das fragt Ihr noch?«, sagte Lina. »Sie ist in Gefahr, nichts anderes kann diese Nachricht doch zu bedeuten haben. Aus irgendeinem Grund konnte sie nicht deutlicher werden, aber ich hab es auch so gleich begriffen. Wir müssen ihr helfen – und ich weiß auch schon, wie.« Sie legte dem Jungen die Hand auf den runden Kopf.
»Geh mit der Kleinen ein Weilchen nach draußen, Lelio«, sagte sie, »und pass gut auf dein Schwesterchen auf, bis wir hier fertig sind!« Dann glitt ihr Blick zu Nevio, der bislang alles mit halb offenem Mund angehört hatte.
Matteo verstand sofort. »Du wirst die beiden ein Weilchen begleiten«, sagte er. »Ich rufe dich, sobald ich dich wieder brauchen kann.«
»Was habt Ihr vor?«, wollte er wissen, sobald sie alleine waren.
»Ich fürchte, ich habe Gemma großes Unrecht angetan«, sagte Lina. »Wir haben uns sogar gestritten, denn ich wollte zunächst nicht glauben, was Cata gesagt hat, und bin zornig geworden, als Gemma darauf bestanden hat, dass es wahr sein könnte.«
Etwas in seinem Blick ließ sie innehalten.
»Ihr wisst bereits davon«, sagte Lina. »Sie hat Euch davon erzählt?«
Matteo nickte.
»Ich hätte besser auf sie hören sollen! Denn die Kleine
ist wie besessen. ›Swarzer Mann‹ – das hab ich inzwischen so oft von ihr gehört, dass ich es beinahe singen könnte. Sie muss in jener Nacht jemanden gesehen haben, der etwas mit Mauros Tod zu tun haben
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