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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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aus.
    Gemma war so schnell hereingeschlüpft, dass ihm erst, als sie schon im Zimmer stand, Zeit blieb, sie eingehender zu betrachten. Ihr Haar war aufgelöst und hing lose herab wie bei einem jungen Mädchen, feine Schweißperlen bedeckten ihr Gesicht. Auch die Kleidung befand sich in Auflösung; der Gürtel war verrutscht, die cotta zerknittert, und sie trug abgewetzte Schuhe, die ihre besten Tage schon hinter sich hatten. Am meisten jedoch beunruhigte Matteo der lange Schnitt an ihrem Handgelenk, über dem sich dicker, dunkelroter Schorf gebildet hatte.
    »Ich hätte niemals kommen dürfen«, stieß sie hervor. »Aber ich musste!«
    »Mamma Lina war hier«, sagte er, »mit einer seltsamen Botschaft, die mich seitdem nicht mehr zu Ruhe kommen ließ. Was ist geschehen, Gemma? Und was hat diese hässliche Wunde an deinem Arm zu bedeuten? Ich will sofort alles erfahren!«
    »Das ist doch nichts als ein dummer Kratzer!«, rief Gemma. »Sie hat dich also besucht? Genauso, wie ich es wollte.«
    Sie fiel ihm um den Hals und fühlte sich in seinen Armen so warm und lebendig an, dass Matteo unvermutet mit den Tränen zu kämpfen hatte.
    »Der Rektor hat mich wegen Mauros Tod verhört«, sagte sie, das Gesicht an seinen Hals geschmiegt. »Zusammen mit dem Apotheker und Richter di Nero. Zuerst erschienen mir ihre Fragen noch ganz harmlos. Plötzlich aber war es, als hätten sich alle im Raum gemeinsam gegen mich verbündet. Was sollte ich tun? Antwort um Antwort wollten sie mir abringen, aber ich konnte ihnen doch nicht verraten, dass ich die ganze Nacht vor Mauros Tod bei dir war! Da haben sie mich als verstockte Lügnerin hingestellt und zur Strafe mit strengem Arrest belegt. In Lupos Haus!«
    »Und er hat dich schließlich freigelassen?« Matteos Stimme verriet sein Erstaunen.
    »Wo denkst du hin!« Gemma löste sich aus seinen Armen. »Eingesperrt hat er mich, gefesselt und gezwungen, mit anzuhören, wie er …« Sie stockte. »Ich will nicht länger an diese Scheußlichkeiten denken. Lupo ist krank, im Kopf und im Herzen, erfüllt von einer Bösartigkeit, die einen erfrieren lässt. Aber dann kam endlich mein Vater, mein lieber, guter Vater …«
    »… und hat dich befreit?«
    Jetzt waren Gemmas Augen dunkel vor Schmerz.
    »Eben nicht«, sagte sie. »Und genau das ist es, was ich bis jetzt nicht verstehe. Er hat Lupo gedroht, denn der hat ihn um eine ganze Schiffsladung kostbaren Salzes betrogen, das habe ich mit eigenen Ohren gehört, und er hat gesagt, dass er mich mitnehmen wird. Schließlich bat er mich, Lupo und ihn für einen Augenblick allein zu lassen. Und bevor ich mich noch richtig versah, war er verschwunden – und die Türe wieder verschlossen.«
    »Aber wie konntest du dann entfliehen?«
    Sie legte die Hand an seine Wange, sah ihn lange an.
    »Ich habe Glück gehabt«, sagte sie mit Nachdruck und spürte dabei das gebogene Drahtstück zwischen ihren Brüsten. »Einfach nur Glück.« Sie trat einen Schritt zurück, runzelte die Stirn. »Aber Lupo wird mich suchen, damit muss ich rechnen. Und wenn er mich hier findet, in deinem Haus, dann haben wir beide unser Leben verwirkt, das weiß ich.«
    »Ich lasse dich trotzdem nicht mehr gehen. Schon gar nicht in diesem Zustand.« Matteo zog sie wieder an sich. »Du bist erschöpft. Du zitterst. Und siehst halb verhungert aus. Soll er nur kommen! Ich fürchte ihn nicht. Schon einmal hab ich seinen hinterlistigen Anschlag überstanden. Ich werde für uns beide kämpfen.«
    Seine Streitbarkeit und sein Mut rührten sie.
    »Nur ein wenig Atem holen«, sagte sie, »einfach zur Ruhe kommen – das wäre schön!«
    »Ja, natürlich, du machst es dir bequem, und ich hole inzwischen etwas zu essen für dich.«
    Als Matteo mit gebratenen Eiern, Brot und einem Krug Wein zurückkehrte, fand er sie ganz vertieft in das halb fertige Gemälde. Die Schuhe hatte sie abgestreift. In einem von ihnen, Matteos Blicken entzogen, lag jetzt Leos metallener Freund.
    »Warum sitzt sie auf dem Boden?«, fragte Gemma mit schräg gelegtem Kopf. »Hat sie keinen Thron?«
    »Weil sie eine schlichte Madonna ist, eine Muttergottes des einfachen Volkes. Sie braucht keinen Thron, um ihre Herrlichkeit zu zeigen. Ihre Güte und Grazie kommen von innen. Das Kind auf ihrem Arm ist ihr größter Schatz, der sie überglücklich macht – und dennoch weiß sie tief im Herzen schon jetzt um den unfassbaren Schmerz, den der Gottessohn ihr einmal zufügen wird.«
    Sollte er ihr sagen, dass er schon lange an

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