Die Sünderin von Siena
Und lass dir ruhig Zeit dabei!«
Sie begann neugierig im Zimmer umherzustolzieren, so selbstverständlich, als sei es ihr angestammtes Terrain. Natürlich erregte das Bild auf der Staffelei ihr besonderes Interesse. Sie beäugte es mit unverhohlener Neugierde.
»Du hast deine Meinung geändert?«, fragte sie.
Wieder fiel ihm auf, wie aufwendig sie sich angezogen hatte. Ein lichtblaues Kleid mit weißer Borte, über das sie ein helles Überkleid gestreift hatte. Und parfümiert war sie ebenfalls. Matteo brauchte nicht zu fragen, weshalb sie sich all diesen Mühen unterzogen hatte, ihr unsteter, um Anerkennung ringender Blick verriet es ihm.
»Was meinst du?«, sagte er.
»Die Madonna wird nicht ihr Gesicht tragen?« Es klang wie eine Bitte. »Dieses Mal nicht?«
»Ich rede ungern über halb fertige Arbeiten.« Matteo nahm ein Tuch und warf es über die Staffelei. »So gut müsstest du mich inzwischen eigentlich kennen.« Er zwang sich zur Freundlichkeit. Celestina unnötig vor den Kopf zu stoßen, würde alles nur noch schwieriger für ihn machen. »Welchem Anlass verdanke ich deinen Besuch?«
»Braucht es denn unbedingt einen Anlass, um einen alten Freund zu sehen?«, erwiderte sie spitz. »Früher jedenfalls war ein solcher zwischen dir und mir nicht nötig, und das hat mir sehr viel besser gefallen.« Sie suchte nach einer Antwort in seinen Zügen, schien aber nichts von dem zu entdecken, was sie erhofft hatte. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Ich bin hier, um dir etwas mitzuteilen, was dich interessieren könnte.«
Eine kalte Hand umklammerte Matteos Magen. Sie hatten entdeckt, was er verbotenerweise im Eiskeller des Hospitals getan hatte, irgendwelche Spuren … Er war unvorsichtig gewesen. Jemand hatte ihn gesehen. Sie waren hinter ihm her!
»Ja?«, fragte er und erschrak, wie dünn und klein seine Stimme auf einmal klang.
»Sie haben den Kleinen inzwischen begraben«, erwiderte Celestina und verfolgte aufmerksam, wie Matteos Gesicht sich bei ihren Worten veränderte. »Niemand hat irgendetwas bemerkt, dafür habe ich gesorgt. Was übrigens nicht einfach war. Denn der Rektor wollte ihn plötzlich noch einmal inspizieren. Günstigerweise hat sein Apothekerfreund ihm dann aber klargemacht, dass eine Leiche in den warmen Monaten möglichst schnell unter die Erde muss. Wir haben also Glück gehabt, alle beide. Aber es hätte auch anders ausgehen können, und das weißt du.«
»Ich danke dir«, sagte er. »Nun stehe ich noch tiefer in deiner Schuld.«
»Hast du eigentlich gefunden, wonach du gesucht hast?«, fragte Celestina.
»Ich bin mir nicht sicher … Wir alle wissen viel zu wenig über den menschlichen Körper. Es sollte nicht verboten sein, Leichen aufzuschneiden, das würde uns alle klüger machen. Nicht nur den Medicus.«
Schweigend sahen sie sich an.
»Da ist noch etwas«, sagte Celestina. »Diese Gemma …« Sie ließ eine wohldosierte Pause folgen, die ihn von Neuem erschrecken ließ. »Schätze mal, du hast sie eine ganze Weile nicht mehr gesehen?«
Was konnte er preisgeben, ohne die Liebste zu verraten? In Matteos Kopf schossen die Gedanken wie Pfeile hin und her. Schließlich zuckte er lediglich die Achseln und stieß so etwas wie ein zustimmendes Brummen aus.
»Ich kann dir auch sagen, weshalb.« Das Krötengesicht verzog sich zu einem scheelen Lächeln. »Weil sie nämlich dort ist, wo sie hingehört. Sie lebt jetzt wieder bei Messer Lupo di Cecco. In seinem Haus.«
Es gelang ihm nicht länger, die Gefühle zu verbergen. Unglauben, Enttäuschung und Erschrecken spiegelten sich auf seinem Gesicht.
Celestinas Lächeln wurde breiter. »Vergiss sie!« Sie kam ihm ganz nah. Sogar ihr Haar hatte sie eigens für diesen Tag präpariert. Matteo konnte den schweren Rosenduft riechen, der den sorgfältig aufgesteckten Flechten entströmte. »Sie bringt dir nichts als Kummer und Unheil, das hab ich dir schon immer gesagt! Und haben kannst du sie ohnehin nicht, denn sie gehört längst einem anderen. Ich dagegen, Matteo, ich bin die, die dich immer …«
»Sei still!«, schrie er. »Sei endlich still!« Er presste die Hände auf die Ohren. »Ich will das alles nicht hören.«
Celestina trat sofort ein paar Schritte zurück. Ihre Haut war fahl geworden, das Kinn bebte leicht, aber es gelang ihr auf bewundernswerte Weise, sich zu beherrschen.
»Ganz, wie du willst«, sagte sie sehr kühl. »Doch wir beide haben noch eine Abmachung offen, vergiss das nicht! Und ich verlange, dass du dein
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