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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Formeln, mit denen der Maler ebenso wenig etwas anzufangen wusste.
    Schließlich, innerlich bereits verzweifelt, stieß er auf eine Passage, die ihm einigermaßen bekannt vorkam.
    Aurum potabile … das Mittel, mit dem die Hermetici Adepti den Gebrauch der Jugend zu erneuern gelernet …
    Das kannte er! Diese Zeilen hatte er bereits früher einmal gelesen. Matteos Finger flog über die krakeligen Zeichen, um sich besser zu orientieren.
    … Hauptingredienzen dieses Mittels zur Lebensverlängerung und Lebenserneuerung sind Zinnober, rotes Quecksilber, Gold, Soma und Salz. Man muss es trinken und dann einiges an Geduld bewahren. Haare können ausfallen, Zähne sich lockern. Doch der Körper wird gereinigt. Alles dreht sich um, neues Leben schießt ein. Die Haare wachsen nach, die Haut wird jung und straff, und sogar die Zähne bilden sich erneut … Denn dieses Elixier ist nichts anderes als der Schlüssel zum Ewigen Leben …
    Da war ein seltsames Geräusch am Fenster gewesen! Matteo schrak zusammen, ließ das Blatt sinken. In seiner fiebrigen Betriebsamkeit hatte er ganz vergessen, die Läden zu schließen, wie er es bislang stets getan hatte, wenn er sich an diesen verbotenen Blättern zu schaffen gemacht hatte. Jetzt aber hatte ihm jeder von draußen in aller Ruhe zusehen können. Sein Schweiß floss mit einem Mal noch heftiger. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können!
    Ohne sie in die alte Ordnung zu bringen, packte er die Blätter zusammen und legte sie wieder unter die Schwelle, die er darüber in bewährter Weise befestigte. Sein Puls raste. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Nie wieder im Leben hatte er den Eiskeller von Santa Maria della Scala noch einmal betreten wollen, das hatte er sich in jener Nacht geschworen. Nun aber wusste er, dass er seinem Schwur untreu werden musste. Doch dieses Mal würde er nicht allein gehen und sich später nur auf seine Zeichnungen verlassen können. Obwohl es eigentlich unmöglich schien, hatte er sich entschlossen, eine Zeugin mitzunehmen. Nun galt es erneut, den Zerberus in Frauengestalt gefügig zu machen, der die Schwelle zu diesem Totenreich grimmig bewachte.
    Matteo kühlte sein glühendes Gesicht mit Wasser, zog alte Beinlinge an und eines seiner geflickten Hemden. Der Korb mit den notwendigen Gerätschaften war schnell gepackt und sogar mit einigem ergänzt, was ihm schon beim letzten Mal gute Dienste hätte leisten können. Er war bereit, aufzubrechen.
    Matteo ließ die Haustür ins Schloss fallen und ging mit großen Schritten quer über die Straße zu dem Nachbarhaus mit den blauen Fensterläden, aus dem seit Tagen kein fröhliches Kinderlachen mehr nach draußen gedrungen war.

    ❦

    Die Gestalt im schwarzen Umhang löste sich von der abendlich aufgeheizten Häuserwand, an der sie bislang wie ein riesiges Reptil geklebt hatte, das die letzten warmen Strahlen in sich aufnimmt, bevor es abermals in Starre verfällt. Einsetzende Dunkelheit machte das Vorhaben leichter, doch der Mann war daran gewöhnt, sich sogar im Hellen unsichtbar zu machen.
    Einfache Schlösser wie dieses konnten ihn keinen Augenblick abhalten; nach einem Lidschlag und einer raschen Umdrehung war er bereits in Matteos Haus eingedrungen. Er hatte lange genug von draußen zugesehen, um sich auch drinnen bestens auszukennen. Ein paar Schritte, schon hielt er das Stemmeisen in der Hand, ein paar weitere Bewegungen, und die Schwelle war gelöst.
    Das Versteck lag offen vor ihm. Geschmeidiges Niederknien, Rascheln, und alle Blätter, die es geborgen hatte, waren im Nu unter dem weiten schwarzen Umhang verschwunden.
    Die Schwelle wurde wieder zugenagelt.
    Die dunkle Gestalt trat einen Schritt zurück und begutachtete das Werk. Alles war wie bisher. Niemand würde bemerken, dass jemand sich hier zu schaffen gemacht hatte.
    Jetzt erst spielte ein kleines Lächeln um die fleischigen Lippen des Mannes. Der padrone würde zufrieden sein, allein das zählte.

    ❦

    Jemand vor ihr musste ein Loch in das oberste Stück der Wand gebohrt haben, das den Blick auf ein winziges Stück Himmel freigab. Daher wusste Gemma, dass es inzwischen zweimal Nacht und zweimal Tag geworden war. Immer wieder drehten sich ihre Gedanken um jene unbekannten Person, die das Loch hinterlassen hatte und die sehr groß oder mehr als verzweifelt gewesen sein musste, denn die Öffnung befand sich unerreichbar über Gemmas Kopf, selbst wenn sie sich auf der hölzernen Pritsche auf die Zehenspitzen stellte und sich streckte, so weit

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