Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
sie nur konnte.
    An diese Person zu denken, half ihr, den Verstand nicht zu verlieren und auch nicht das letzte Restchen Mut, selbst wenn es immer schwieriger wurde, je mehr trostlose Stunden verrannen. Manchmal nützte es auch, sich die sorgfältig geführten Register von Santa Maria della Scala in Erinnerung zu bringen, bei deren Durchsicht man sie so jäh aufgestört hatte. Jetzt wusste sie endlich Bescheid über jenes Geheimnis, das so lange auf ihrer Seele gebrannt hatte – doch was half ihr das noch, in dieser scheinbar ganz und gar ausweglosen Situation, in der sie sich befand?
    Alles, was nur irgendeine Ablenkung oder Unterbrechung bedeutete, war ihr mehr als willkommen. Sogar der Anblick von madre Celestina zählte dazu, die ihr morgens und abends Wasser und Essen brachte und danach mit steinerner Miene den Abtritteimer leerte. Leider war es Gemma bis jetzt nicht gelungen, das verstockte Krötengesicht zum Reden zu bringen, egal, wie schlau sie es jedes Mal auch anstellte.
    Nur ein einziges Mal hätte Gemma es beinahe geschafft.
    »Hat Matteo Euch eigentlich schon eine Nachricht für mich übergeben?« Es gelang ihr, diese Worte auszusprechen, ohne dass ihre Stimme zitterte.
    Es war noch hell genug gewesen, um den seltsamen Ausdruck zu erkennen, der daraufhin in Celestinas Augen trat. Dann aber wandte sie sich rasch ab und stieß eine Art Brummen aus, was Gemma als Antwort genügen musste.
    Sie war also bei ihm gewesen. Matteo wusste, dass sie hier gefangen saß. Warum kam er dann nicht, um sie zu befreien?
    Eine halbwegs vernünftige innere Stimme raunte Gemma zu, dass Matteo gar nicht die Möglichkeit dazu hatte, dass ihm die Hände gebunden waren oder er nicht wusste, wie er es anfangen sollte, doch all ihr Sehnen, all ihre Wünsche behaupteten genau das Gegenteil.
    Vielleicht liebte er sie nicht mehr, hatte sie niemals wirklich geliebt, sondern nur begehrt – solch dunkle Gedanken machten sich immer häufiger in ihr breit und drohten, sie mit dem ätzenden Gift des Zweifels zu überschwemmen. Wenn es besonders unerträglich wurde, kniff sie die Augen so lange zusammen, bis das Schwarz verschwand und leuchtende Farben sich zeigten. Dann konnte es geschehen, dass mit einem Mal das Bild der toten Mutter vor ihr erschien, die sie freundlich anlächelte. Verharrte Gemma lange genug in diesem Zustand, verschwammen Francescas Züge mit denen der gemalten Madonna – ein Frauengesicht, so sanft, so aufmunternd, so voller Liebe, dass sie zumindest ein Fünkchen an Zuversicht zurückgewann.
    Ihre Ankläger mussten doch herausgefunden haben, dass sie nichts mit Catas Tod zu tun haben konnte!
    Mamma Lina würde es besser wissen, auch Bartolo und natürlich erst Matteo, der sie nach wie vor schätzte und liebte. Einer von ihnen oder besser noch alle zusammen mussten zum Rektor gehen und ihn bestürmen, sie endlich freizulassen. Niemand durfte eine Unschuldige wie sie auf so schreckliche Weise bestrafen.
    Doch nichts geschah. Gemma blieb in ihrer Zelle gefangen, konfrontiert mit diesem stinkenden Eimer, dessen Anblick allein ihr schon Übelkeit bereitete, mangelhaft versorgt mit ungewürzter Suppe, ein paar Scheiben Brot und zwei nachlässig gefüllten Krügen Wasser, die jedes Mal viel zu schnell aufgebraucht waren. Man hatte ihr zwar die Fesseln gelöst, nachdem man sie hier eingesperrt hatte – ein Privileg, das sie angesichts der Schwere ihres Verbrechens eigentlich nicht verdiente, wie Celestina mit spitzer Stimme anmerkte –, und dennoch fühlte Gemma sich nach wie vor an Händen und Füßen gebunden, einer unsichtbaren Macht ausgeliefert, die nach Belieben über sie und ihr künftiges Schicksal verfügen konnte.
    Als sich zum dritten Mal Dunkelheit über das modrige Kellerloch senkte, stieg abgrundtiefe Verzweiflung in ihr auf, so rabenschwarz und überwältigend, dass keine Ablenkung mehr helfen wollte. Gemma barg ihr Gesicht in den schmutzigen Händen und begann bitterlich zu weinen.

    ❦
    »Du willst es noch einmal wagen? Du musst in der Tat wahnsinnig sein!« Celestina hatte die schmale Nebentüre nur einen winzigen Spalt geöffnet. »Ihr zuliebe willst du abermals dein Leben aufs Spiel setzen – und meines dazu, wenn man dich entdeckt. Aber was soll das nützen? Gemma di Cecco ist schuldig und wird für ihre Taten bestraft werden.«
    Wie Matteo es hasste, wenn sie Lupos Namen mit der Liebsten in Verbindung brachte! Und dennoch hatte sie in gewisser Weise recht. Gemma war noch immer Lupos Frau,

Weitere Kostenlose Bücher