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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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wozu die Gläubigen zum Altar strömten, nahm auch der Mauersegler seine vergeblichen Runden wieder auf, sichtlich geschwächter als zuvor. Sein kleiner Körper klatschte gegen das Glas, wieder und immer wieder. Es gelang Gemma kaum noch, sich auf die Messe zu konzentrieren, und auch Lelio verfolgte gebannt das verzweifelte Treiben hoch über ihren Köpfen.
    Als der Bischof den Schlusssegen erteilte, schlug der Vogel hart gegen eine Säule, als sei er bereits zu matt, um ihr noch auszuweichen, und fiel wie ein Stein zu Boden.
    Kaum war die Messe vorüber, rannte Lelio sofort zu ihm, hob ihn auf und brachte ihn zu Gemma.
    »Warum hat er denn nicht gewartet?« In den Augen des Jungen standen Tränen. »Er hätte doch nur noch ein kleines bisschen länger warten müssen!«
    »Manchmal kann man nicht warten«, sagte Gemma sanft. »Auch, wenn man bitter dafür bezahlen muss. Und jetzt leg ihn behutsam beiseite. Er möchte schlafen.«
    Lelios Unterlippe zuckte noch immer verräterisch, doch er gehorchte und ließ das leblose Federbündel behutsam auf die unterste Domstufe gleiten.
    »Er war ganz nah bei Gott, als er gestorben ist«, fuhr Gemma fort. Ihre Hand lag tröstend zwischen seinen knochigen Schulterblättern. »Was könnte es Schöneres geben? Und jetzt komm, Lelio! Wir sollten uns beeilen, damit wir nicht die Allerletzten sind.«
    Zur Feier des Tages gab es Sonderrationen für die geta telli und ihre Waisenmütter, die diese auf kleinen Leiterwägen verstauten. Der Bischof selber und die Domherren verteilten die Gaben, und der oberste Kirchenmann der Stadt ließ es sich bei dieser Gelegenheit nicht nehmen, einige der Frauen und Kinder persönlich anzusprechen.
    Gemma war zur Seite getreten, nachdem Mamma Lina als eine der Ersten an die Reihe kam. Sie beobachtete, wie der Bischof freundlich mit ihr redete und dann Lelio, Mauro und schließlich auch noch Cata die Hand auf den Kopf legte, die ihm mit ihren Grimassen offenbar ein Lächeln entlockt hatte.
    Ganz anders der füllige blonde Domherr, der daneben stand. Er starrte Lina fassungslos an, voller Abscheu und Entsetzen, als sei sie eine der Kreaturen Satans, direkt der Hölle entsprungen. Lina schien es nicht zu bemerken, so unbeteiligt schaute sie drein. Allerdings fiel Gemma auf, dass sie sich plötzlich so gerade hielt, als habe sie einen Stock verschluckt.
    »Wie schön, dass Ihr gekommen seid!«, hörte sie eine vertraute Männerstimme sagen. »Für mich macht Ihr allein diesen strahlenden Morgen erst richtig golden.«
    »Heute ist Euer Tag«, erwiderte Gemma, erleichtert, dass er in der Öffentlichkeit die Form wahrte und vor allem keine Fragen stellte, warum sie ihn nicht mehr besuchte. »Der Bischof hat voller Wärme über Euer Werk gesprochen. Und er hat recht. Die Begegnung an der Goldenen Pforte ist Euch wunderbar gelungen.«
    »Mir persönlich gefallen, wie Ihr wisst, die Darstellungen aus dem Marienleben noch besser«, sagte Matteo. »Und auch der Bischof scheint gottlob dieser Ansicht zu sein. Deshalb hat er wohl bei mir ein großes Bild in Auftrag gegeben: Madonna mit dem Kind, so, wie das einfache Volk sie sieht und liebt. Der Bischof hat mich aufgefordert, unverzüglich mit der Arbeit zu beginnen. Und sagt selber: Darf man seinem Bischof eine solche Bitte abschlagen?«
    Er zögerte, trat einen Schritt näher. Gemma spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken.
    »Euch ist klar, was das bedeutet?«, fragte er leise.
    »Nein«, sagte sie, innerlich bebend.
    »Ihr müsst mir Modell sitzen, Monna Santini, sonst sehe ich mich leider gezwungen, den Auftrag seiner Exzellenz abzulehnen.«
    »Ich hatte gehofft, Ihr hättet das inzwischen begriffen«, sagte Gemma. »Ich bin keine Mutter, und erst recht keine Madonna.«
    »Woher wollt Ihr das wissen?«
    Jetzt fuhr sie zu ihm herum, öffnete den Mund zu einer Entgegnung, doch als sie die Sehnsucht und das tiefe Verlangen in seinen Augen las, schloss sie ihn wieder.
    »Kommst du, Gemma?«, rief Lina ungeduldig, mit einem weißen, zu allem entschlossenen Gesicht, wie sie es nie zuvor an ihr gesehen hatte. »Die Kinder und ich wollen endlich nach Hause!«
    Hatte der Bischof sie gekränkt oder beleidigt? Oder waren es die hasserfüllten Blicke des Domherrn gewesen? Was immer es auch sein mochte, das Lina derart verstört hatte, Gemma würde ohnehin keine Antwort erhalten, sollte sie danach fragen, das wusste sie schon jetzt.
    »Ich bin ja da!«, rief sie und zwang sich zu einem Lächeln. »Lasst uns

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