Die Sünderin von Siena
Nur ein winziger Bruchteil des Salzes, das ein zweites Schiff eher zufällig geladen hatte, hat Pisa sicher erreicht. Anstatt Gewinn zu machen, mussten wir erhebliche Verluste hinnehmen.«
»Und da seid Ihr trotzdem so großzügig mit Almosen? Die heilige Jungfrau hätte bestimmt nichts dagegen, wenn Ihr angesichts Eurer momentan so misslichen Lage eine Weile später spenden würdet!«
Lupo di Cecco senkte den Kopf, scheinbar demütig. »Selber Verluste zu erleiden«, sagte er, »sollte uns alle doch nur noch empfänglicher machen für die Not anderer, meint Ihr nicht? Meinen Schwiegervater und mich werden die verlorenen Fässer gewiss nicht gleich in den Ruin treiben. Für Eure kleinen Schützlinge aber zählt jede Lira.«
»Ihr seid ein wahrer Ehrenmann!«, rief der Rektor. »Jemand, an dem andere sich ein Vorbild nehmen sollten. Gäbe es mehr Bürger von Eurer vornehmen Geisteshaltung, unsere schöne Stadt stünde um einiges besser da.«
»Wollen wir nun das Fresko betrachten?«, sagte Lupo. »Deswegen bin ich ja eigentlich hier.«
»Aber natürlich – schaut Euch alles nur in Ruhe an! Und danach lasst mich Euer Urteil hören! Ich bin schon sehr gespannt.«
Lupo di Cecco schien sich vor allem für die Mariendarstellungen in den Ecken zu interessieren, die er eingehend studierte. Ein paarmal runzelte er die Stirn, und seine Miene verfinsterte sich, dann aber glätteten sich wieder seine Züge. Das Hauptwerk, die Begegnung an der Goldenen Pforte, fesselte ihn offenbar kaum. Nur einmal schritt er es kurz ab, blieb jedoch plötzlich stehen und vertiefte sich abermals eine ganze Weile in eines der kleineren Fresken.
»Seht Ihr das auch, da unten links?«, sagte er, zum Rektor gewandt. »Dort, halb unter dem roten Mantel der Elisabeth? Ist Euch das schon aufgefallen?«
Barna trat näher, kniff die Augen zusammen. »Wie ich Euch gestehen muss, bemerke ich es gerade zum ersten Mal. Ein Reptil, oder nicht?«
»Ganz richtig. Ein Feuersalamander – und ausnehmend gut getroffen.« Lupos Stimme bekam etwas Lauerndes. »Ich kann mich allerdings nicht erinnern, dass in der Heiligen Schrift oder in späteren Legenden von einem Salamander die Rede wäre.«
»Natürlich nicht! Und mit mir abgesprochen war dieses Tier ebenfalls nicht.«
»Dann muss es einen anderen Grund geben, warum er es gemalt hat.« Um Lupos Mundwinkel zuckte ein Lächeln. »Vielleicht sogar einen gewichtigen. Könntet Ihr Euch vorstellen, geschätzter Rektor, welcher das sein könnte?«
»Da bin ich wirklich überfragt! Aber dass wir mit diesem Minucci Ärger bekommen würden, war mir von Anfang an klar. Kein Wunder – schließlich fällt er nicht zum ersten Mal unangenehm auf.«
Lupo di Ceccos Brauen stiegen fragend nach oben.
»Der Vorfall liegt Jahre zurück. Wenn ich mich recht erinnere, wart Ihr damals gar nicht in der Stadt. Sein kleiner Junge war ganz plötzlich an der Halsbräune gestorben, und Minuccis Weib hat deswegen vor Schmerz den Verstand verloren. Man musste sie schließlich von einem Balken schneiden. Allein das war schon Skandal genug, aber es war noch längst nicht alles. Denn zuvor war der Leichnam des Kleinen unter mysteriösen Umständen verschwunden, und er tauchte erst später in einem erschreckenden Zustand wieder auf. Viele Gerüchte entstanden. Manche behaupten bis heute, Minucci selber sei daran beteiligt gewesen, doch dafür fehlen leider Beweise. Zunächst jedenfalls sah es gar nicht gut für ihn aus. Einige, und es waren nicht gerade wenige, wie ich Euch versichern kann, hätten ihn am liebsten sofort am Galgen gesehen, doch dann wendete sich plötzlich das Blatt. Einflussreiche Fürsprecher meldeten sich zu Wort, allen voran der Bischof …«
Er hielt inne, sah Lupo aufmerksam an.
»Hört Ihr mir überhaupt noch zu, Messer di Cecco?«
»Sie werden wahnsinnig, wenn sie ihre Kinder verlieren oder niemals welche gebären können«, sagte di Cecco versunken wie im Selbstgespräch. »Das scheint bei einigen Frauen tatsächlich so zu sein …« Er schrak hoch. »Verzeiht, geschätzter Rektor! Ich wollte Euch nicht mit meinen privaten Sorgen behelligen.«
»Eure Frau, nicht wahr?« Barnas Stimme war voller Anteilnahme. »Ich hab läuten hören, Monna Gemma sei in ihr Vaterhaus zurückgekehrt.« Er verzog seinen Mund. »›Noch bitterer als der Tod ist die Frau.‹ Die Alten hatten durchaus recht, wenn sie das behaupteten. Was mich betrifft, so hat es mich niemals nach den Freuden und Leiden der Ehe gelüstet. Nicht
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