Die Sünderin von Siena
Möglichkeit, wie ich durchaus zugestehe. Oder nicht vielmehr doch der Versuch, die Schäfchen der Salimbeni ins Trockene zu bringen, egal wie die Sache ausgehen mag? Die zweite Möglichkeit, wie du mir zugestehen wirst. Und jetzt darfst du dir die plausiblere von beiden auswählen.«
»D'Agnolino, das Oberhaupt der Familie Salimbeni? Du bist wirklich ganz sicher …«
Das Wort erstarb Barna im Mund, weil Rocco mit dem Prediger zurückkehrte. Salimbeni sah mitgenommen aus wie nach einem Kampf, das Gesicht noch stärker gerötet, die dünnen hellbraunen Haare zerzaust. Bernardo dagegen wirkte wie aus dunklem Erz gegossen.
»Wir sind Euch Dank schuldig«, sagte Rocco und schloss mit einer Handbewegung die Männer am Tisch mit ein. »Und überglücklich über Eure weise Entscheidung, ehrwürdiger Vater.«
Padre Bernardo verzog keine Miene.
»Lasst mich Euch noch hinausbegleiten …«
»Ich kenne den Weg, bemüh dich nicht, mein Sohn!« Mit diesen Worten war der Prediger steifbeinig verschwunden.
»Was genau habt Ihr mit ihm vereinbart?« Sogar der Rektor schien allmählich beunruhigt.
»Das Ergebnis könnte besser nicht sein.« Rocco Salimbeni goss sich einen Becher Wein ein und leerte ihn in einem Zug. »Die Würfel sind gefallen. Künftig wird padre Bernardo unsere Sache unterstützen.«
»Das hat er gesagt?«, hakte der Apotheker nach.
»Sinngemäß – ja.«
»So lasst Euch doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!«, mischte sich nun auch di Nero ein. »Wie will er das anfangen? Und vor allem: Was habt Ihr ihm alles von unserem geheimen Plan anvertrauen müssen?«
»So wenig wie möglich natürlich, was glaubt Ihr denn! Und wie er das anfängt? Indem er weiterhin das Wort Gottes auf den Gassen und Plätzen Sienas verkündet, auf seine spezielle Weise. Wer Ohren hat zu hören, der wird hören – und die entsprechenden Schlüsse ziehen.« Er begann zu lächeln. »In der Hitze des nahenden Sommers können sich die Gemüter sehr rasch entzünden. Das werden wir uns zunutze machen.«
»Die Toren haben ihr Herz auf der Zunge, die Weisen aber ihre Zunge im Herzen. So zumindest steht es in den Weisheitslehren des Alten Testaments geschrieben.« Die helle Stimme des Apothekers durchschnitt die träge Nachmittagsstimmung. »Was verlangt er dafür? Was genau habt Ihr ihm zusagen müssen?«
»Eine feste Unterkunft für seine Engel, diese Kinder, die ihm offenbar so sehr am Herzen liegen. Ich hab ihm unseren leer stehenden Palazzo bei San Donato angeboten, der ohnehin dringend renoviert werden muss. In dem baufälligen Gemäuer können sie keinen großen Schaden anrichten. Dazu bekommt er Essen, Kleidung und etwas Silber, damit er sich freier bewegen kann.«
»Aber der Palazzo liegt ja mitten in der Stadt!«, rief di Nero.
»Umso besser werden wir sie im Auge behalten können.« Rocco Salimbeni grinste noch eine Spur zufriedener.
»Das ist alles?« Marconis Stimme war schneidend geworden.
»Beinahe.« Jetzt fand Salimbeni die Sache nicht mehr so lustig. »Es gab da noch einen allerletzten Punkt, auf dem er bestanden hat.«
»Und der wäre?«, fragte Nardo Barna.
»Das neunte Gedeck, Ihr versteht? Könnte übrigens durchaus sein, dass wir es waren, die ihn damit auf diese Idee gebracht haben.«
Alle starrten ihn an, ebenso fragend wie ratlos.
»Einen Sitz im Rat. Warum auch nicht? Wenn alles anders wird, kann er beim Neuanfang durchaus nützlich sein. Natürlich erst, wenn diese Färber und ärmlichen Wollkratzer, die den Palazzo Pubblico mit ihrer Anwesenheit beschmutzen, endlich begriffen haben, dass die Macht in Siena einzig und allein in die Hände von Ehrenmännern wie uns gehört.«
❦
Ein kleiner Mauersegler hatte sich in die Kapelle verirrt und fand nicht mehr hinaus. Immer wieder flatterte er gegen die bunten Glasfenster, auf der Suche nach dem Licht, das ihm dort so verführerisch entgegenströmte, doch der Ausgang blieb ihm verschlossen. Gemma hörte sein hektisches, verzweifeltes Flügelschlagen und wäre am liebsten aufgesprungen, um ihn zu erlösen und ins Freie zu lassen, doch die Anwesenheit des Bischofs hielt sie davon ab. Sie war froh, als der Vogel endlich sein sinnloses Unterfangen aufzugeben schien und sich erschöpft auf dem Haupt der neuen Sebastiansstatue niederließ.
Gemmas Wangen brannten, denn ihr war, als würden ihr aus allen Ecken von den verschiedenen Darstellungen der himmlischen Jungfrau Matteos Madonnen entgegenschreien. Das bist du, schienen sie zu rufen
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