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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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als Buchholz noch ein winzig kleines und sehr armes Heidedorf gewesen war. Nur ein paar Bauernhöfe und der Boden so schlecht und die Tiere so mager, dass sie nach dem Winter nicht zur Weide gehen konnten. Sie mussten hingeschleppt werden. Und wie dann die Eisenbahn kam. Wie alles besser wurde.
    Ich mochte solche Geschichten. Sie hatten etwas von Hoffnung, waren fast ein Versprechen. Wenn aus einem winzigen, armen Heidedorf eine schöne kleine Stadt werden konnte, dann konnte auch alles andere besser werden.
    An dem Abend damals hatte Vater mir von der Pest erzählt. Und als ich dann aufwachte – Vater stöhnte, ich dachte an die Pest und hatte Angst, er sei krank geworden. Aber dann sah ich, dass er seine Sünde in der Hand hielt. Für mich sah es aus, als wolle er sie abreißen. Das gelang ihm nicht.
    Ich dachte, wenn wir zu zweit reißen, schaffen wir es bestimmt. Das sagte ich ihm auch und fragte, ob ich ihm helfen solle. Er meinte, das wäre nicht nötig, stieg aus dem Bett und ging im Dunkeln zum Badezimmer. Und ich dachte, er wolle sie abschneiden. Im Bad lag eine große Schere.
    Aber am nächsten Samstag sah ich, dass er sie noch an sich trug. Und – na ja, ich hätte auch Angst gehabt, mir etwas abzuschneiden, was fest angewachsen war. Ich wünschte ihm von ganzem Herzen, sie möge von alleine abfallen, verfaulen oder wegeitern, wie mir der Holzsplitter aus dem Handballen geeitert war.
    Als ich das sagte, lächelte Vater, packte alles zurück in die Hose, kam zur Wanne und wusch mich. «Ja», sagte er, «hof fen wir, dass sie abfällt. Wir können ja darum beten.»
    Ob wir das taten, weiß ich nicht mehr. Aber ich nehme es an. Bei uns wurde ständig gebetet um Dinge, die uns fehlten oder die wir nicht haben wollten – wie der Durst auf Himbeerlimonade. Der quälte mich oft.
    Ich weiß noch, einmal – da muss ich vier gewesen sein – war ich bei Mutter in der Küche. Dass sie tatsächlich meine Mutter war, glaubte ich noch nicht. Alle sagten es, aber ich wusste schon, wie man lügt. Und ich dachte immer, alle lügen.
    Ich war durstig, Mutter gab mir ein Glas Wasser. Es war nur Wasser aus der Leitung. Das mochte ich nicht. Esschmeckte fade. Mutter nahm das Glas wieder fort und sagte: «Dann bist du auch nicht durstig.»
    Das war ich wohl, und ich sagte, dass ich lieber Himbeerlimonade trinken wolle. Himbeerlimonade gab es bei Grit. Mutter sah es nicht gerne, wenn ich nebenan war. Aber sie hatte nicht die Zeit, sich um das zu kümmern, was ich trieb. Und ich nutzte jede Gelegenheit, ihr zu entwischen und bei meiner richtigen Familie zu sein.
    Ich hatte auch an dem Tag nebenan gespielt. Dann wollte Grit einen Besuch machen. Sie hatte einen sehr großen Freundes- und Bekanntenkreis. Viele luden sie ein, weil ihr Mann oft lange unterwegs war. Grit rief ihre Kinder ins Haus, um sie zu waschen und umzuziehen. Ich hatte gefragt, ob ich mitfahren dürfe, und zur Antwort bekommen: «Meine Mutter» erlaube das nicht. Ich musste heimgehen.
    Ich weiß das noch genau. Es war früher Nachmittag, Ende Juli oder Anfang August. Draußen war es sehr heiß. Das Küchenfenster stand offen, die Sonne tauchte alles in helles Licht, die ganze Schäbigkeit, die Armseligkeit, die keineswegs finanzielle Ursachen hatte.
    Vater arbeitete in Hamburg in einem Büro am Freihafen. Manchmal erzählte er mir auch davon. Ich wusste schon mit vier Jahren, dass er gut verdiente. Wir hätten ein besseres Leben führen können. Früher hatten meine Eltern das auch getan und sich etwas gegönnt. Sie waren oft in Hamburg gewesen, tanzen, essen und solche Sachen.
    Aber seit Magdalena auf der Welt war, brauchte Vater viel Geld für sich. Und die Klinik kostete auch eine Menge. Die Ärzte in Eppendorf wunderten sich, dass Magdalena noch lebte. Sie war oft in der Klinik, manchmal lange für eine neue Operation, manchmal nur ein paar Tage für Untersuchungen. Mutter war immer bei ihr. Und für Mutters Bett und ihr Essen musste Vater bezahlen. Wenn sie zurückkamen, hieß es dann wieder: Ein paar Wochen noch, höchstens ein paar Monate.
    Wir lebten mit dem Tod unter einem Dach. Und Mutter kämpfte um jeden Tag. Sie ließ Magdalena nie aus den Augen, auch nachts nicht. Deshalb schlief Vater in meinem Zimmer. Wir hatten oben im Haus nur zwei Zimmer und ein großes Bad. Als sie das Haus kauften, hatten sie gedacht, dass sie nie Kinder bekämen und mit dem zweiten Zimmer sogar eins für Gäste hätten.
    Mutter stand vor dem Herd, als ich sie nach der

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