Die Sünderin
Schädelverletzung», sagte er bedächtig. «Sie haben eine ziemlich tiefe Narbe an der Stirn. Da war nicht nur die Haut verletzt, da war auch der Knochen betroffen. Das ist mir in der Nacht aufgefallen. Sie haben, bevor Sie zusammenbrachen, von einer Pranke aus Kristall gesprochen und davon, wie grausam es war, wenn Ihr Mann vorher eine Zigarette rauchte. Weil der Aschenbecher all das auslöste. Also erzählen Sie mir nicht wieder, Sie wären vor ein Auto gelaufen.»
Es schien, dass sie schmunzelte. «Ihnen erzähle ich gar nichts mehr. Ich denke, wenn ich dem Haftrichter etwas erzähle, haben wir alle noch was vom Wochenende. Was sagt eigentlich Ihre Frau, wenn Sie hier durchmachen? Oder haben Sie keine?»
«Doch.»
«Gut.» Sie schmunzelte nicht nur, sie grinste. «Dann packen Sie Ihre Frau ins Auto und machen einen schönen Ausflug mit ihr, wenn Sie mich abgeliefert haben. Ist ja herrliches Wetter draußen. Fahren Sie an den Otto-Maigler-See. Am besten nehmen Sie auch Herrn Hoß mit. Er kann Ihnen ein interessantes Fleckchen zeigen. Da wurde nämlich gestern ein Mann umgebracht. Stellen Sie sich vor, der arme Kerl wurde abgeschlachtet, nur weil er mit seiner Frau Zärtlichkeiten austauschte und dabei ein bisschen Musik hörte. Und da war so eine blöde Kuh, der gefiel das nicht, da ist sie ausgeflippt.»
Er versuchte es mit Autorität. «Frau Bender, die Mätzchen können Sie sich sparen. Woher stammt diese Narbe?»
Sie wurde ausfallend. «Ach, lecken Sie mich doch.»
Noch ein Versuch, sie mit ihren eigenen Ängsten zu ködern. «Ich denke, das mögen Sie nicht. Gestern haben Sie so etwas angedeutet, oder habe ich Sie da missverstanden?»
Sie starrte ihn an, das unverletzte Auge war wie ein Loch im Gesicht. Er hätte gerne gewusst, was in diesem Loch glühte, Wut oder Panik. Sekundenlang glaubte er, das sei der richtige Ton gewesen. Da tippte sie sich gegen die rechte Kopfseite. «Hier habe ich eine Narbe, die ist noch größer. Möchten Sie sie sehen? Da müssen Sie aber die Haare anheben. Nur ist da nicht viel zu sehen. Es sieht eben geflickt aus.»
«Und wer hat Ihnen diese Verletzungen zugefügt?»
Sie zuckte mit den Achseln, das Grinsen fand den Weg zurück auf ihr zerschlagenes Gesicht. «Ich hab’s Ihnen doch erklärt. Wenn Sie mir nicht glauben, ist das Ihr Problem. Ichbin mit dem Kopf auf die Motorhaube geknallt. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war high, als es passierte. Der Weißkittel hat Ihnen doch gesteckt, was mit meinen Armen ist. Und Margret hat doch garantiert auch gesagt, was damals mit mir los war. Ich hab gefixt.»
Sie streckte den linken Arm aus und deutete auf die Armbeuge. «Ich war nicht vorsichtig genug, habe auch keinen Wert auf Sauberkeit gelegt. Das hatte sich mächtig entzündet. Es hat richtige Löcher gegeben. Sehen Sie? Es ist ganz knotig.»
Sie strich mit einem Finger der rechten Hand über das vernarbte Gewebe. «Ich habe alles probiert, was im Angebot war», erklärte sie. «Hasch, Koks, zuletzt Heroin.» Sie lachte leise und fügte hinzu: «Aber keine Sorge. Sie haben nichts versäumt. Ich bin seit Jahren clean. Gestern war ich so sauber wie Sie. Und wenn ich mich gewaschen habe, rieche ich auch wieder so. Zeigen Sie mir jetzt bitte, wo ich mich umziehen kann?»
Sie hatte sehr lässig gesprochen, die Feindseligkeit gab ihrer Stimme einen rostigen Beiklang. Und er hatte keine Ahnung, wie ein Mensch sich mit einem Trauma fühlte. Der Vergleich mit der Mauer schien ihm passend. Was ihm bei seiner Tochter nie gelang, bei ihr schaffte er es: an seinem Konzept festzuhalten; Ruhe, Gelassenheit, Verständnis und Geduld. Er stellte sich einfach vor, dass sie vor ihrer Mauer stand und alles, was sich dahinter verbarg, mit Zähnen und Klauen vor seinem Zugriff verteidigte. «Warum haben Sie uns nicht schon in der Nacht erzählt, dass Sie süchtig waren?»
Sie zuckte erneut mit den Achseln. «Weil ich dachte, es geht Sie nichts an. Es ist ein paar Jahre her und hat mit der Sache nichts zu tun. Mein Mann weiß nichts davon. Ich hatte gehofft, dass er es nie erfährt. Es war lange vor seiner Zeit.»
«War es die Zeit mit Georg Frankenberg? Hat er Ihnen das Zeug gegeben?»
Sie richtete den Blick zur Decke und verdrehte die Augen. «Gegen wen ermitteln Sie eigentlich, gegen mich oder ihn? Was wollen Sie dem armen Schwein denn noch alles anhängen? Sie wollen ihn unbedingt zum Verbrecher stempeln, was? Passt es nicht in Ihr Weltbild, dass eine Frau töten kann, nur weil
Weitere Kostenlose Bücher