Die Sünderin
sie sich über laute Musik ärgert? Soll ich Ihnen was sagen? Eigentlich wollte ich das Weib abstechen. Der Mann hatte einfach Pech, weil er oben lag.»
Rudolf Grovian lächelte. «Und weil das für Sie so aussah, als ob er über die Frau herfiele. Weil Sie befürchteten, er könnte sie schlagen. Hat es Sie an das erinnert, was damals im Keller passiert ist?»
Sie antwortete nicht sofort. Erst nach ein paar Sekunden und einem tiefen, entnervten Seufzer meinte sie lakonisch: «Wenn Sie unbedingt an dieser Story festhalten wollen, finden Sie das mal selbst raus. Fragen Sie einfach noch ein paar Leute. Sie fragen doch so gerne. Warum soll ich Ihnen den Spaß verderben?»
Mit den letzten Worten griff sie eine Bluse, einen Rock, eine Garnitur Unterwäsche und ihre Zahnbürste vom Schreibtisch. Um Erlaubnis fragte sie nicht noch einmal. Sie ging einfach zur Tür. Er folgte ihr, Werner Hoß schloss sich ihnen an. Auf dem Korridor versuchte er es noch einmal. «Frau Bender, es hilft Ihnen doch nicht, wenn Sie so verstockt sind. Wenn Georg Frankenberg …»
«Wer ist hier verstockt?», unterbrach sie ihn. «Ich bestimmt nicht. Ich mag nur diese Bohrerei nicht. Sie sehen doch, was dabei herauskommt. Ein Haufen Dreck! Ich hatte Ihnen so eine hübsche Geschichte erzählt. Richtig romantisch war sie am Anfang. Und am Schluss war sie rührend. Ein totes Baby. Tote Babys sind immer rührend, dreckig sind sie nicht. Die Wahrheit ist dreckig. Die Wahrheit ist voller Würmer und Maden, sie wird schwarz und stinkt zum Himmel. Ich mag keinen Dreck und keinen Gestank.»
«Ich auch nicht, Frau Bender. Aber ich mag die Wahrheit. Und in einem Fall wie diesem wäre es doch nur zu Ihrem Vorteil, wenn Sie offen zu uns sind.»
Sie lachte kurz auf. «Machen Sie sich keine Sorgen um meinen Vorteil. Um den kümmere ich mich selbst. Das habe ich schon als Kind getan. Ich bin ziemlich früh auf die schiefe Bahn geraten. Da rutscht man irgendwann völlig ab. Da haben Sie Ihre Wahrheit. Mir musste niemand etwas geben, bestimmt keinen Stoff. Was ich haben wollte, habe ich mir genommen.»
Während sie sich – bei offener Tür – notdürftig wusch und umzog, stand er – mit Werner Hoß als Zeugen – auf dem Korridor, horchte auf die eindeutigen Geräusche und ließ den nächtlichen Dialog zwischen ihr und Margret Rosch wieder und wieder durch seinen Kopf ziehen.
Es kam so weit, dass er sich für schizophren hielt, in den harmlosen Sätzen verschlüsselte Absprachen zu vermuten und in einer schockierten und besorgten Tante eine Todesbotin zu sehen. Aber schizophren hin und her, er musste sich den Inhalt ihres Köfferchens noch einmal genau anschauen. Seine Hand hätte er ins Feuer gelegt, dass sie nur deshalb nicht aus der Ruhe zu bringen war, weil Margret Rosch ihr mehr mitgebracht hatte als Tabletten. Vielleicht war die Medikamentenschachtel nur ein raffinierter Schachzug gewesen, um von einer Rasierklinge oder etwas Ähnlichem abzulenken.
Ihr Hirn war immer noch zu einem festen Klumpen gefroren, von dem niemand ein Stück abschlagen, den niemand zum Tauen bringen konnte. Mochte der Chef wüten, wie er wollte. Nur hinter den Rippen glühte es schmerzhaft. Margret hätte das Foto nicht mitbringen dürfen.
Es hatte ihr einen heftigen Stich versetzt, das Kind noch einmal zu sehen, so fröhlich und unschuldig. Es war der letzte Blick zurück gewesen. Lots Weib war daraufhin zur Salzsäuleerstarrt. Sie war nur im Innern steif geworfen, so steif und kalt wie Mutter damals, als sie mit Magdalena auf dem Bett saß und von der großen Schuld sprach, die der Herr nicht vergeben hatte.
Aber der Kleine war gut aufgehoben bei den Großeltern. Schwiegereltern dachte sie nicht mehr. Und irgendwann durften sie ihm erzählen, seine Mutter sei gestorben. Wenn sie es ihm erzählten, war es die Wahrheit. Mochte der Chef Riegel vorschieben, so viele er wollte. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie wusste auch womit! Und Margret schien auch gewusst zu haben, dass es so viele Möglichkeiten nicht gab in einer Zelle, dass man sich auf etwas beschränken musste, das völlig natürlich und harmlos aussah. Nach dem Tod der Angeklagten wurden die Ermittlungen bestimmt eingestellt. Warum sollten sie dann noch im Dreck wühlen?
Auf der Fahrt nach Brühl schwiegen sie. Werner Hoß fuhr, der Chef hatte neben ihr im Fond des Wagens Platz genommen. Er schien endlich begriffen zu haben, dass er drohen, betteln oder weinen mochte, dass er bei ihr auf Granit biss,
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