Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
nachgedacht, aber im letzten Moment war sie immer davor zurückgeschreckt. Jetzt aber hatte sie endgültig die Nase voll. Immer, wenn der fischköpfigen Magd etwas nicht passte, häuften sich die Unglücke und Unfälle. Dass es dabei nicht mit rechten Dingen zuging, war schon lange klar. Aber musste man deswegen eine Angestellte, die sich sonst redliche Mühe gab, an die Regierung verpfeifen? Die Heimleiterin war hin- und hergerissen. Jetzt aber, nach diesem letzten unmöglichen Vorfall, musste eine Entscheidung zugunsten der Kinder getroffen werden: Es war ein schlimmer Verdacht, aber die Regierung würde ihn sicher sorgfältig überprüfen. Und wenn er sich als richtig erwies – wenn Eleiza Plumm wirklich eine böse Cruda war – dann musste die Regierung darüber Bescheid wissen und Sicherheitsvorkehrungen treffen. So leid es der Leiterin für Eleiza Plumm auch tat.
Vielleicht gab es ja auch eine andere Erklärung für die Vorfälle. Die Regierung würde das untersuchen. Schließlich hieß es, böse Crudas gebe es schon lange nicht mehr. Die mächtigen, bösen Hexen, die nur Unheil zaubern konnten, waren angeblich verschwunden aus dieser Welt. Aber man munkelte, dass doch noch welche übrig waren. Vor allem hier, in Finsterpfahl. Crudas, die sich versteckten und tarnten, als Magd mit Fischkopf womöglich. Seit Jahren stand das Heim unter einem dunklen Stern und in letzter Zeit häuften sich die Seltsamkeiten, die sich nur durch böse Zauberei erklären ließen. Jetzt, an diesem Tag, musste ein Schlussstrich gezogen werden.
Als es dämmerte, schloss Eleiza Plumm die Tür zur Wäschekammer auf.
„Pass auf, Scarlett, ich muss verreisen“, sagte sie. „Ich hab dir etwas unter dein Kopfkissen gelegt, das schaust du dir aber erst an, wenn ich weg bin. Hast du mich verstanden?“
Scarlett nickte.
„Warum musst du denn weg?“
„Mach dir keine Sorgen, meine Kleine.“
Scarlett machte sich aber Sorgen, weil die Stimme von Eleiza Plumm so traurig klang.
„Sag mir, was los ist!“
Eleiza Plumm schüttelte den Kopf.
„Sag’s mir! Sag’s mir doch endlich!“
„Hast du heute nicht schon genug angestellt?“, erwiderte Eleiza Plumm. „Geh jetzt zum Abendessen! Ich bin ja noch hier und nachher komme ich bei dir vorbei und sag dir Gute Nacht. Abgemacht?“
„Na gut“, sagte Scarlett.
Aber Eleiza Plumm hatte gelogen. Der Wagen, in dem die Leute von der Regierung sie mitnahmen, fuhr fort, während Scarlett mit den anderen Kindern beim Abendessen saß. Und kurz bevor die Kinder aufstehen durften, kam die Leiterin herein und sagte Folgendes:
„Meine lieben Kinder! Heute ist sehr viel passiert. Schönes und Trauriges. Unser Freund Hanns hat ein wunderbares neues Zuhause gefunden. Er ist jetzt unterwegs in den Süden und wird morgen in seinem eigenen Bett einschlafen.“
Hier machte die Leiterin eine Pause und unter den Kindern gab es ein Murmeln, das sich schwer deuten ließ. War es Sehnsucht? Vereinzeltes Seufzen? Oder ein Raunen darüber, dass das eigene Bett von Hanns vielleicht nicht so toll war, wie die Leiterin ihnen Glauben machen wollte? Scarlett war das egal. Denn als sie hörte, dass Hanns nicht nur weg war, sondern auch noch mehr als eine Tagesreise entfernt leben würde – unerreichbar für sie – da zog es ihr den Boden unter den Füßen weg. Vom Gefühl her. In Wirklichkeit saß sie aber immer noch auf ein- und demselben Fleck, der gewohnte Boden war fest und hart, ebenso wie Scarletts Gesichtsausdruck. Sie verzog keine Miene und ihr Gesicht fühlte sich an wie Stein.
„Und nun zur schlechten Nachricht: Eleiza Plumm musste uns leider überraschend verlassen. Vielleicht kommt sie zurück, doch im Moment sieht es nicht so aus. Ich werde mich gleich morgen um Ersatz kümmern.“
Ersatz? Für Scarlett gab es keinen Ersatz! Sie saß da, als wäre die Welt rund um sie herum untergegangen. Sie saß da, bis alle Kinder aus dem Raum gerannt waren. Sie blieb immer noch sitzen, als die Leiterin mit einem ärgerlichen Blick auf Scarlett alle Lichter löschte und die Tür schloss. Scarlett wartete im Dunkeln auf etwas, das sie wieder zum Laufen bringen würde, und es kam: Ihr fiel plötzlich ein, dass Eleiza Plumm von ihrem Kopfkissen gesprochen hatte. Von etwas, das darunter lag. Scarlett sprang auf und rannte in den Schlafsaal, um nachzusehen.
Im Schlafsaal war es dunkel, obwohl noch nicht alle Kinder schliefen. Scarlett hörte sie flüstern und kichern. Sie lief zu dem Stockbett, dessen
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