Die tägliche Dosis Gift - Warum fast alles, was wir berühren, essen oder einatmen, chemisch belastet ist. Und wie wir uns davor schützen können
Im Gegensatz zum Geschmackssinn, der genetisch für die Ernährung zuständig ist, hat der Geruchssinn eine andere, höhere Bedeutung. Die Sinnesnerven sitzen weitgehend in der Nasenschleimhaut, sie registrieren Geruchsmoleküle und verknüpfen sie über Signalwege im Gehirn an Rezeptoren, die Emotionen hervorrufen. Pheromone greifen auf diese Weise tief in unsere Gefühlswelt ein.
Das Mysterium des Riechens
Eine männliche Seidenmotte verfügt in ihren gefransten Antennen über rund 20 000 Rezeptorzellen für die Aufnahme des weiblichen Sex-Pheromons Bombykol, eines komplexen Alkohol-Moleküls. Die männliche Motte kann aus einer Masse an Luftgasen von rund 100 Billiarden Bombykol-Molekülen ein einzelnes herausschnuppern. Sie sucht dann im flatternden Zickzackkurs, oft über eine Entfernung von mehr als zwei Kilometern, nach dem Verlockungsmolekül.
In unseren Nasen sitzen die olfaktorischen Sinnesrezeptoren in sehr dünnen, feinen Schleimhäuten. Es sind– im Gegensatz zu Geschmacksknospen– reine Neuronen, ihre äußere Struktur ist in sogenannten Mikrovilli aufgefächert, winzigen Verzweigungen und Verästelungen, die dazu dienen, dass das Geruchsneuron mehr Atemluft auf die Konzentration von Duftstoffen prüfen kann. Das innere Ende des Neurons ist ein Axon, ein faserartiger Fortsatz, der Signalreize zum Gehirn weiterleitet. Unsere olfaktorischen Neuronen sind bereits weitgehend Sklaven der Lebensmittelindustrie. Was wir essen, soll auch gut duften– sonst wird es nicht gekauft.
Während Duftstoffe in Wasch- und Reinigungsmitteln, Kosmetika oder Lösungsmitteln Haut, Schleimhäute oder Atemwege direkt angreifen, wirken sie in Lebensmitteln als Instrument der Verführung. Unsere Überwachungs- und Aufklärungsbehörden widmen ihnen deshalb relativ wenig Raum. Auf welche Weise sich etwa der Riechstoff in einem Birnenkompott mit jenem in einem nach Zitrone duftenden Toiletten-Spray verbündet und in seinem toxischen Potenzial multipliziert, ist nicht bekannt.
Die meisten Aromastoffe ahmen natürliche Düfte nach, viele von ihnen basieren auf denselben oder ähnlichen chemischen Grundformeln wie Terpenen, Estern oder Aldehyden. Sie werden besonders häufig verwendet, um » der Natur auf die Sprünge zu helfen«, wie es ein Lebensmittelchemiker ausdrückte. Sie werden also mit Vorliebe eingesetzt, wenn Duftstoffe im Ausgangsprodukt nicht ausreichen, um dem Lebensmittel sein Aroma aufzuprägen und es somit verkäuflich zu machen. Riechstoffe wirken nicht ausschließlich durch Einatmen über die Nasenschleimhaut. Sie erreichen ihre olfaktorischen Rezeptoren auch beim Essen und Kauen, wenn erwärmte Aromastoffe im Rachenraum zur Nase aufsteigen.
Wie Geruchsrezeptoren funktionieren
Die dreidimensionalen Riechstoffmoleküle gelangen über das Einatmen an ein bestimmtes Rezeptormolekül und über diesen Landeplatz in die Rezeptorzelle. Die Labortüftler der Lebensmittelindustrie kennen diesen Vorgang nur zu genau. Sie wissen, dass eine Substanz nicht länger nach Minze, sondern fortan nach Wasserkresse duftet, wenn man dem Molekül lediglich eine sogenannte Methyl-Gruppe hinzufügt. » Für uns wäre es kein Problem, Hähnchenleber nach Erdbeeren oder Erdbeeren nach Hähnchenleber duften zu lassen«, so brüsten sie sich.
Die Duftsubstanz, die an ihrem Rezeptor gelandet ist, erweckt innerhalb Hundertstelsekunden eine ganze Armee sogenannter G-Proteine zum Leben, die wiederum in einer Art Schneeballsystem bestimmte Enzyme (die Adenyl-Cyclase) und Millionen von Helfermolekülen rekrutieren, die cAMPs (cyklisches Adenosinmonophosphat). Die cAMPs sind eine Erfindung der Natur, um Stoffwechselvorgänge zu beschleunigen.
Als Folge dieser Reaktionen werden Signalreize ins Gehirn versandt, wo die Information verarbeitet wird und– ganz im Sinne der Lebensmittelverführer– die Verlockung einsetzt. Dann kann zum Beispiel ein pikant gewürzter, gegrillter Hähnchenschlegel so verführerisch duften, dass man unbedingt hineinbeißen muss.
Gesetzlich definierte Klassen
Natürliche Aromastoffe müssen aus natürlichen Duftstoffen der Natur hergestellt werden. Zwar können bei diesen Prozessen chemische Hilfsstoffe eingesetzt werden, die müssen allerdings anschließend abgetrennt werden.
Naturidentische Aromastoffe müssen mit Aromastoffen identisch sein, die in der Natur vorkommen.
Künstliche Aromen werden chemisch hergestellt, existieren also gewissermaßen nicht in natürlicher Unschuld.
Darüber hinaus wird noch
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