Die Tänzer von Arun
worüber sie redeten. Er schaute zu Kel hinüber. Sein Bruder blickte finster drein.
Er erinnerte sich an das schwere rote Gesicht des Bauernjungen, der ihn herausgefordert hatte. Seine Hände schlossen sich fester um Callitos Zügel. »Vielleicht sollten wir nicht ...«
Kerris' Sehvermögen verschwamm. Er hielt sich krampfhaft am Sattelknauf fest, er kämpfte gegen die Schwäche an, die ihn zu überwältigen und vom Rücken seines Pferdes zu stürzen drohte. Ich hatte gehofft, daß es aufhört, dachte er. Ich will, daß es aufhört! Stimmengemurmel um ihn herum. Magrita war unruhig. Er tastete blind nach dem Zügel. Sein Nacken war naß, und sein Kopf dröhnte, als wolle er zerspringen.
Zwei Hände packten ihn an den Schultern. Fest. »Kerris, Kerris!« Die Stimme seines Bruders war es. Die Trennung trat wieder ein. Er holte tief Luft und hob den Kopf.
Kel hatte Callito mit den Schenkeln neben Magrita getrieben.
»Alles wieder in Ordnung«, sagte er. »Es ist vorbei.«
Also fühlte Kel es ebenfalls! Kerris zwang sich, aufrecht zu sitzen. Er sagte: »Ich hatte geglaubt, wenn du kommst, wird es aufhören.«
»Nein. Es funktioniert nicht so«, sagte Kel. »Weißt du überhaupt, was es ist?«
»Nein.«
»Man nennt es ›Innere Sprache‹.«
Riniard hinter ihnen fragte quengelnd: »Was ist los?«
»Pscht!« machte Ilene.
›Innere Sprache‹. Kerris wiederholte das unbekannte Wort bei sich. »Das ... das habe ich nicht gewußt. Josen hat mir nicht sagen können, was es ist. Und er ist ein Gelehrter.«
Kel sagte: »Er konnte es nicht wissen. Der Begriff ist nicht allzu bekannt. Hast du jemals von Zauberern, von Hexern gehört? Inneres Sprechen ist eine der Künste der Hexer. Unsere Mutter, Alis, besaß die Fähigkeit. Und du hast sie von ihr geerbt. Du brauchst keine Angst zu haben.«
Die Stimme war sanft, als tröste sie ein verschrecktes Kind. »Ich habe keine Angst«, sagte Kerris bockig. »Ich war nur überrascht.«
»Ich weiß seit Jahren, daß du innere Stimmen hast«, sagte Kel. Er grinste verlegen. »Ich erinnere mich noch genau an das erstemal, daß ich gespürt habe, wie du nach mir gegriffen hast. Ich war gerade dabei, jemanden zu lieben, und ich war völlig durcheinander. Ich begriff nicht, was passiert war. Sefer mußte mir alles erklären.«
Kerris stieg das Blut ins Gesicht. Er hatte es vergessen gehabt. Nun erinnerte er sich wieder – er lag auf seinem Bett im Wachtturm, er zitterte in den Nachwehen einer Leidenschaft, die nicht seine eigene war, entsetzt und verwirrt, nicht wissend, was da mit seinem Verstand und mit seinem Körper geschah. Erst viel später hatte er allmählich begriffen, daß das, was ihm geschah, auch auf andere Weise erlebt werden könne, daß es unabhängig von seinen Anfällen, unabhängig von seinem Bruder Kel möglich sei ... Er wurde sich bewußt, daß die Chearis jedes Wort mithören konnten. »Wird es verschwinden?« fragte er.
»Meist ist das nicht der Fall«, sagte Kel. »Es ist deine persönliche Gabe. Du kannst es benutzen oder auch nicht, wie es dir beliebt. Wenn wir in Elath sind, wirst du es besser begreifen. Ich werde dich in die Schule bringen.«
»Bin ich ... bin ich denn ein Hexer?« fragte Kerris.
Kel tätschelte ihm den Arm. »Das bist du.«
Über die Veranda des Wirtshauses kam ein Hund getrottet. Er fletschte die Zähne und begann die Fremdlinge anzubellen. Ein Mann mit verschmierter Schürze um die Hüften kam aus der Tür und gab dem Tier einen harten Tritt in die Rippen. Jaulend taumelte der Hund die Stufen herunter. Der Mann im Schurz beäugte die fremden Reisenden, grinste breit und rief: »Ich habe Platz für acht!«
Ilene sagte: »Wo wir schon hier sind, machen wir doch halt.«
»Nun gut«, sagte Kel. Er stieg vom Pferd. Kerris glitt von Magritas Rücken und stellte sich neben ihn. Das Rückgrat schmerzte ihn, seine Beine fühlten sich an, als wären sie für alle Zeit verbogen. Kel berührte seine Schulter. »Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte er. »Wir reden später noch darüber.« Wenn nicht so viele neugierige Ohren zuhören, besagte sein Ton.
»Ja.« sagte Kerris.
Kel musterte ihn von oben bis unten. »Müde?«
Kerris straffte den Rücken. »Nicht sehr«, sagte er.
Kel nickte beifällig. »Morven hat deine Ausdauer unterschätzt.«
Während sie auf die Gastwirtschaft zuschritten, wurde Kerris sich bewußt, daß Riniard ihn mit seltsamen Blicken beobachtete. So hatten seine Freunde in der Burg ihn angeschaut, wenn
Weitere Kostenlose Bücher