Die Tänzer von Arun
weiter, kehrte zurück, hievte einen Eimer Wasser herauf, spülte sich den Mund aus und wusch sich das Gesicht.
Als er aufblickte, sah er neben sich eine Frau stehen. Ihr Haar war weiß und strebte lockig von ihrem Schädel weg wie ungeschorene Wolle, dicht wie ein Vlies im Norden. Sie trug etwas Goldenes mit grünen Borten. Das Gesicht war von Runzeln überzogen.
»Der Friede des chea sei mit dir«, sagte sie.
»Und über deinem Haupt«, antwortete er. Er schaute die terrassierten Hänge des Tales hinauf und suchte nach dem Hof, den Kel ihm am Vortag gewiesen hatte. »Kannst du mir sagen, welcher von den Höfen der von Ardith ist?«
Die alte Frau legte ihm eine bemerkenswert kräftige Hand auf die Schulter und drehte ihn nach Osten. »Folge dem Saum der weißen Birken«, sagte sie. »Der Ardith-Hof ist der mit dem steilsten Dach.«
»Ich danke dir.«
»Gern geschehen.« Ihre Haut war blaßrosa, der Mund breit. Als sie ihm zulächelte, liefen Fältchen von ihren Lippen bis zum Rand ihres Gesichtes. Ihre Augen waren dunkel und sehr gebieterisch. »Meine Finger sind nicht mehr so gelenkig wie früher einmal. Würdest du mir einen Eimer Wasser heraufholen?«
»Aber gern«, sagte Kerris. Er ließ den Schöpfeimer in den Brunnenschacht hinab und leierte ihn gefüllt wieder hoch. Er überließ ihn randvoll ihren Händen, die verwittert aussahen. Mit zusammengekniffenen Lidern wanderte er ostwärts. Den Hang hinauf stiegen Pfade zum Rand der Senke. Auf unbestellten Feldern grasten Kühe. Anpflanzungen von Zypressen, Pinien und Birken bildeten die Grenzmarkierungen der Gehöfte. Ein gutes Fünftel der Felder lag stoppelig da wie geschorene Schafe. Man sah, wo der Winterweizen geschnitten worden war. Der war nun längst gesammelt und eingefahren, gedroschen und gemahlen und in Säcke verpackt und lagerte in den Vorratskammern des Dorfes. Doch an anderen Stellen stand das Getreide hoch, kurz vor der Reife und wartete auf die Herbstmahd.
Auf dem Rücken einer scheckigen Stute kam eine Frau den Hang herabgeritten. Im Morgendunst erhaschte Kerris das Aufblitzen von Metall. Er konnte nicht erkennen, ob sie eine Haue oder einen Speer trug.
Die Krümmung der Talsenke täuschte über die Entfernungen. Die Gehöfte waren größer, als sie erschienen. Auf halber Hanghöhe gelangte Kerris an einen klaren seichten Bach, der sich in einen Teich ergoß. Auf dessen Grund schwammen unentwegt rote Fische in Kreisen und Figuren durch die Wedel des Unterwassergrüns.
Es war ihm lieb, daß er allein war, unbeobachtet, außer von einem zufälligen Fremden. Und es schien ihm leichter, dahinzuwandern, ohne das Gewicht des Messers, das ihm gegen den Schenkel schlug. Der Boden war feucht und fruchtbar, er klebte sich an die Sohlen seiner Stiefel. Er schnüffelte in die Luft. Es roch nach Kuhmist, Pinienharz und nasser Erde.
Er sah eine Ricke und zwei gefleckte Rehkitze, die an dem Junglaub einer Birke nagten, und er blieb stehen, um ihnen zuzusehen. Im Norden gab es nur wenig Wild. Die Decke der Kitz war rot wie Lehm. Die Läufe der Jungtiere waren steckendünn, fast wie die Knöchlein von Vögeln. Er tat einen Schritt auf sie zu, und die Ricke sah ihn. Ihr Schwanz zuckte milchweiß. Sie stubste die Rehkälber mit der Nase tiefer in den dunklen Wald hinein. Hier ist meine Heimat, dachte Kerris. Und der Gedanke erschien ihm nicht mehr als derart vermessen wie am Tag zuvor.
Durch das Geflirre des Sonnenlichts erspähte er vor sich einen Mann. Er war braun gekleidet und trug einen Strohhut ähnlich den Hüten, wie sie die Frauen im Galbareth trugen. Kerris holte den Mann ein. In einem Netz trug er einen Strang Kaninchen. »Ich suche den Hof Ardiths«, sagte Kerris.
Der Mann sagte: »Du hast ihn gefunden.« Der Mann hatte eine gute Stimme, ruhig, angenehm. »Ich bin Ardith.« Er schob den Strohhut weiter aus der Stirn zurück. In seinem Gürtel steckten feste Lederhandschuhe. Sein Haar war braun, die Augen graubraun wie Felsgestein. »Und du bist Kerris, der Sohn von Alis. Hab' gehört, daß du mit Kel runtergekommen bist. Die Kinder haben erzählt, daß sie dich am Hof gesehen haben. Ich hab' mir fast gedacht, daß du heraufkommen würdest.« Er wies auf das schiefergedeckte Haus, den Bauernhof. »Komm rein! Lea möchte dich kennenlernen.«
»Danke«, sagte Kerris.
»Eigentlich hab' ich gedacht, Kel kommt mit dir.«
Es dauerte eine Weile, ehe Kerris klar wurde, daß er etwas gefragt worden war. »Ich habe nicht auf ihn gewartet«,
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