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Die Tänzerin auf den Straßen

Die Tänzerin auf den Straßen

Titel: Die Tänzerin auf den Straßen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Gudrun Sieber
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kann jetzt schon ziemlich lange ohne Essen laufen, wenn ich nur Wasser habe. In der Ebene fand ich Strauchwerk. Großes Glück! Im Schatten ruhen und essen. Ich setzte mich so, dass ich die Ebene mit freiem Blick vor mir hatte und die Sträucher hinter mir. Gerade aß ich mein Brot, da hörte ich Geräusche in den Büschen. Ich begriff, dass es ein Pilger war, der seine Notdurft im weit und breit einzigen Versteck verrichten wollte und mich offensichtlich nicht gesehen hatte. Du kannst mir glauben, Leon, dass ich noch nie einen Menschen bei seinem großen Geschäft belauscht hatte. Er ließ sich gehen mit Geräusch und Gestöhn — wohl in der Annahme, dass er unbeobachtet ist. Dieser Umstand wiederum lähmte mich in meiner Absicht zu frühstücken — nicht der Sache an sich wegen, sondern wegen ihm. Mir war klar, dass dieser arme Mann einen Schock bekommt, wenn er mich als Beobachterin und Zuhörerin entdeckt. Diese Peinlichkeit wollte ich ihm ersparen. Also saß ich wie erstarrt und rührte mich nicht mehr, bis er sein Geschäft beendet hatte. Er hat mich offensichtlich wirklich nicht wahrgenommen, denn er ging sehr erleichtert — und das laut ausdrückend — davon.
     

E inmal fanden meine Augen
    eine einzige kleine Blume am Straßenrand.
     
    Mitten in der Einsamkeit der Steppe
    eine einzige rote Blüte.
    Mitten in der Einsamkeit der Steppe
    ein winziger roter Punkt.
    Mitten in der Einsamkeit der Steppe
    ein runder roter Tropfen.
    Mitten in der Einsamkeit der Steppe
    ein kleines rotes Glühen.
    Mitten in der Einsamkeit der Steppe
    eine geweinte rote Träne.
    Mitten in der Einsamkeit der Steppe
    ein zitterndes rotes Bangen.
    Mitten in der Einsamkeit der Steppe
    eine hingestreute rote Erinnerung
    an mein warmes ruheloses Herz.
    Mitten in der Einsamkeit der Steppe
    eine einzige rote Mohnblume.
     
    Ich sah die kleine Blume und konnte es nicht fassen inmitten des Nichts ein kleines Blühen! Ich kniete nieder und dachte, ein Wunder zu sehen. Sie berührte mich zutiefst. Plötzlich schoss ein heißer Strom der Liebe durch meinen ganzen Körper Liebe zu meinem Leben, so wie es war und verlaufen ist, mit allem, was ich gelebt, geliebt, gelitten hatte. Ich streichelte die Erde zärtlich, wie eine Geliebte, und dankte, dass ich auf ihr leben darf. Ich sah ihre Einmaligkeit und Schönheit und sah die meine. Ich fühlte, dass das Leben ein großes Geschenk ist, eine Gnade. Ich sah alle Menschen vor meinem inneren Auge vorbeiziehen, die mir bisher begegnet waren, mit denen ich ein Stück des Lebensweges geteilt hatte, und tiefe Dankbarkeit und Liebe erfüllten mich. Nichts hätte ich streichen wollen aus meinem Leben. Ich legte mich auf die Erde und weinte über Stunden. Der Strom der Erlösung wollte nicht enden. Die Tränen flössen aus meinen Augen und aus meinem Herzen wie eine einzige Vergebung. Ich weinte und wurde selbst zum Lebensfluss... So erfüllt hätte ich sterben können. Vielleicht sind manche Pilger in solch einer Stunde gestorben — nicht aus Erschöpfung, sondern vor Glück.
    Ich war pure Energie, Fließen, Leidenschaft, Grenzenlosigkeit. Alles floss in mir zusammen, das ganze Leben! Und alles strömte aus mir heraus, ich selber verströmte mich, ich leuchtete und glühte, vibrierte und zerplatzte, es atmete und klopfte: Ich war im Herzen des Lebens!!
    Ich war angekommen!
    Das alles geschah in der Einöde vor Sahagún, nach ca. vierhundert Kilometern am achtzehnten Tag des Gehens.
     

U nd es war
an irgendeinem Tag
nach dem tausendsten
und abertausendsten Schritt
auf dem Weg,
da öffnete ein Sandkorn
mir die Augen
und ich erkannte das Leben
als Geschenk und Wunder
und sah
die Schönheit der Göttin
und all ihrer Wesen.
 
Und ich fiel auf die Knie,
streichelte und küsste die trockene Erde
und weinte, weinte
in meine mir vergebenden Hände.
     

Segnung von Wahrheit und Traum
     
    (zu singen beim Anblick einer roten Blume von denen, die lieben)
     
     
    Ich werde mich eines Tages erinnern.
    Wir liebten uns:
    mit der schmerzlichsten Liebe der Welt,
    mit der hingebungsvollsten Liebe der Welt,
    mit der glücklichsten Liebe der Welt,
    mit der traurigsten Liebe der Welt,
    mit der befangensten Liebe der Welt,
    mit der freiesten Liebe der Welt.
    Du sagtest:
    Ich werde dich für immer verlassen.
    Ja, ich weiß.
    Und ich werde nicht weinen, und du auch nicht.
    Ja, ich weiß.
    Ich werde sterben.
    Ja, ich weiß.
    Ich binde dich nicht an mich.
    Unsere Liebe kommt aus einer anderen Dimension.
    Tief in den Zeiten

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