Die Tänzerin auf den Straßen
alte Leben wegbrechen sollte.
Warum hatte ich so große Angst davor, dass mein altes Leben nicht weitergeht?
A ls ich den Schäfer traf,
sah ich die Stille in seinen Augen,
die Weite der Ebene
und die Beständigkeit seiner Herde.
Ich verlangsamte meinen Schritt,
alles zu sehen:
die Ruhe der spanischen Erde...
die Gelassenheit des abgeernteten Kornfeldes,
das sein Gelb mit der Sonne in Gold verwandelte
die Sehnsucht der Wolke,
im Warten alle Farben der Erde zu spiegeln...
das Zarte des verbrannten Grases...
in der Ferne der Hahnenschrei
des in den Sonntag getauchten Dorfes...
Und ich fühlte, wie die Langsamkeit
den Raum meines Herzens öffnete,
sacht und sehr sanft,
wie eine Herbstzeitlose erblüht,
die der letzte warme Wind
auf den Weg gestreut.
Lieber Leon,
es ist Abend in den Bergen Galiziens. Ich liege unter dem Himmel eines alten, fast verlassenen Dorfes in Foncebadón — von den Pilgern gefürchtet wegen der herumstreunenden Hunde. Der Aufstieg war hart, aber wunderbar — ich bin in tausenddreihundert Meter Höhe. Der Weg führte durch alte keltische Süßkastanienwälder. Unglaubliche Bäume, in ihrer Art und Schönheit wie weise Alte.
Lieber Leon, es liegt ein Gesang in der Luft. Die Sonne geht unter. Es ist so still, dass ich die Luft singen höre, während ihre Heiligkeit am Horizont sich verabschiedet. Wahrlich majestätisch, eingehüllt im roten Mantel. Rundherum Berge und ein freier Blick. Ein Bussard kreist über meinem Kopf... Ich bin glücklich! Heute gibt es keine Dusche, auch sonst keine Waschmöglichkeit. Ich liege verschwitzt und staubig im Schlafsack und bin glücklich und voller Dankbarkeit. Ich lebe, ja, ich lebe!! Ich spüre mein warmes Herz, das sich weiten will. Leben, lass mich immer weiter werden, damit ich alles verstehen kann! Mir fällt ein Gebet von den Sufis ein: „Gott, brich mir mein Herz, damit der Raum frei wird für grenzenlose Liebe. “ Grenzenlose Liebe — hier oben, in diesem Augenblick ist sie da... Liebe, nichts als Freiheit und Liebe! Und ich singe mit der hereinbrechenden Nacht ein Lied von Freiheit und Liebe.
Noch während ich singe, denke ich an Johannes, meinen Weggefährten seit fast zwölf Jahren. Ich warte auf eine Antwort, wünsche mir, dass er auf meinen leidenschaftlichen Brief genauso leidenschaftlich antwortet, dass er mit mir leben will. Wir können doch auch ein Kind adoptieren. Warum antwortet er nicht? Ich will weiterhin mit ihm leben, aber nicht halbherzig. Ich weiß ja, Leon, und du weißt es auch, wie schnell die Liebe im Alltag auf der Strecke bleibt, wenn man nicht klug ist und sich bemüht. Ja, man braucht — glaube ich — Weisheit und Klugheit und Ehrlichkeit, um die Wandlungen in einer Beziehung zu begreifen und zu bestehen, um nicht zu sagen, zu überstehen. Und es verlangt die Bereitschaft und die Wachheit für den eigenen Weg in der Beziehung. Es verlangt auch Leidenschaft für das Leben, für sich selbst und für den Geliebten. Und es geht nicht ohne Zorn und ehrliche Auseinandersetzung. Der Zorn hat mich immer weitergebracht, hat mir den Weg zur Wahrheit gezeigt...Er erscheint als Nichtliebe, ist aber immer Liebe, da er Interesse bedeutet. Er ist ein ehrliches Gefühl und eine Grenzüberschreitung der inneren Angstmauer... Schluckt man ihn hinunter, nimmt man sich die Möglichkeit einer tieferen Entwicklung. Ignoranz ist wirklich das Ende der Liebe.
Ist Johannes ignorant, dass er nicht auf meinen Brief antwortet? Bei dem Gedanken spüre ich Zorn aufsteigen...
Lieber Leon, du hast mir etwas wiedergebracht, das ich schon fast verloren hatte. Ich bin erwacht durch deine Langsamkeit und die tiefen Wahrnehmungen, die nur durch Berührbarkeit in der Liebe sich entfalten können, wie Blumen auf den Wiesen. Unter deinen Augen fange ich an zu duften...
Oh Sehnsucht, du suchst mich heim heute Nacht! Ich will geliebt und gesehen sein, berührt und geschmeckt...
Mit dieser Sehnsucht schlafe ich ein... Wie geht mein Weg weiter — mein Lebensweg? Welche Überraschungen und Wegkreuzungen warten auf mich? Welche Verluste muss ich hinnehmen, damit sich Neues entfalten kann? Was ist reif, ja überreif für die Verabschiedung?
Gute Nacht, Leon. Danke, dass du zuhörst, du Erfindung meiner selbst. Aber es gibt dich wirklich. Noch lebst du, alter schöner Mann.
Der Mars — er leuchtet so stark! Es ist unser Stern, der Stern der Nachtliebenden.
W ir sind die Nachtliebenden.
Liebster, hörst du die leisen Nachttöne fallen?
In
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