Die Tänzerin auf den Straßen
Aber ich bin allein in einem wunderbaren Zimmer. Ich liege wie in Trance, erwache nur ab und an und versinke wieder im Nirvana. Es ist, als ob alle Anstrengung mit einem Mal ausgeschlafen werden will. Ich genieße den Raum, für mich allein zu sein, trotz der Übelkeit.
Nächster Tag, Samstag. Ich kann noch nicht aufstehen, bin wackelig und schwach auf den Beinen. Also bleibe ich Liegen
— und heute weine ich. Die Einsamkeit in der Krankheit holt mich ein... Wenn der Mensch krank ist, wird er wieder zum Kind — ich jedenfalls. Jemand sehr Liebes bringt mir einen Kamillentee und redet ein bisschen mit mir — das würde mich froh machen... Ich trinke das Wasser aus der Leitung... Dann kommt ein Anruf von meiner Freundin, die eine Operation hinter sich hat und sich fürchtet vor Einsamkeit und weiterem Leiden. Meine Vergiftung ist nichts gegen ein Krebsleiden mit all seinen Folgen. Wir reden miteinander, und es ist gut für uns beide.
Ach, Leon, mein kleines Kränkeln ist doch nichts gegen die vielen Leiden, die die Menschheit heimsuchen... Ich grüße dich!
F remdes Land,
fremde Stadt,
fremdes Haus,
fremdes Zimmer,
fremdes Bett,
fremde Geräusche,
fremde Stimmen in den Gassen
Fremdheit in der Einsamkeit.
Ohne Worte mein Gesicht,
durchsichtig wie ein Spiegel.
Der Staub auf den Wegen verschwimmt in der Zeit
Es ist Sonntag. Heute will ich versuchen weiterzugehen.
Als ich nach zwei Tagen Hotelaufenthalt endlich genesen war und am Morgen vor die Tür trat, saß dort ein Hund, als hätte er auf mich gewartet. Ich war sprachlos. Natürlich erkannte ich ihn sofort. Genau dieser Hund war mir in den Bergen hinterhergetrottet, um das Gekotzte zu fressen. Ich hatte ihn ignoriert, da mir sehr übel war. Jetzt saß dieser braune Hund irgendein Straßenköter — vor der Hoteltür wie ein Verwandter, als hätte er auf mich gewartet — zwei volle Tage lang. Er sah mich, winselte vor Freude und wedelte mit dem Schwanz. Eindeutig, er freute sich wirklich, dass ich gesund war. Dann lief er mir nach wie ein guter Bekannter. Sollte ich ihn ignorieren? Ich hatte von den anderen Pilgern schon einige Hundegeschichten gehört. Was, wenn ich ihn nicht mehr loswürde?
Im nächsten Café wollte ich versuchen, etwas zu essen, um zu Kräften zu kommen, denn ich fühlte mich noch sehr schwach... Ich saß am Tisch. Der Hund legte sich zu mir, direkt an meine Füße, entspannte sich und rollte sich ein. Auf einmal fühlte ich einen Energiefluss von ihm zu mir aufsteigen. Ich bekam eine Gänsehaut dieses feine Rieseln, wenn sich die Poren öffnen, weil Kräfte wie Wellen sich ausbreiten. Es war seine Liebe, die Liebe eines Hundes. Sie erfüllte meinen ganzen Körper. Ich musste weinen vor Rührung. Dieser Hund war ein Heiler! Ich schloss die Augen und genoss seine Zärtlichkeit, und mir war, als würden die letzten Reste der Krankheit meinen Körper verlassen. Ich streichelte ihn ebenso zärtlich. Dann aß ich mich satt.
Wenige Minuten danach war er verschwunden, für immer. Ich war zutiefst berührt und dankte diesem Wesen.
Lieber Leon,
ich gehe wieder. Ich spüre, dass mein Herz diesen Rhythmus des wiegenden Gangs meiner Hüften und Füße kennt, merke, wie sehr es sich freut an dem Knirschen unter meinen Sohlen. Meine Füße kennen den Sound der Straßen auf dem Jakobsweg. Ich weiß gar nicht, was ich tun soll, wenn ich nicht mehr laufe. Es wird mir fehlen.
Vor Kurzem habe ich die Lebensbeschreibung einer Holzschnitzerin aus dem Erzgebirge gelesen: Auguste Müller, die sehr interessante Figuren geschnitzt hat und ein hartes Leben hinter sich brachte. Sie schrieb, dass sie ihr Leben nur deshalb verkraften konnte, weil sie regelmäßig von ihrem Dorf an der tschechischen Grenze bis nach Dresden zum Markt laufen musste, um ihre Ware anzubieten. Sie verarbeitete ihre vielen leidvollen Erfahrungen durch das Gehen. Und sie hat recht damit. Alle Erfahrungen stecken in unseren Körpern und alle Emotionen auch. Die Bewegung bringt beides in Fluss. Leben ist ewige Bewegung — du weißt es Leon, du bist alt. Jedenfalls fühle ich mich gerade sehr glücklich, weil ich wieder laufe. Ich gehe durch die sonntäglichen Vororte Ponferradas. Stille, schöne Gassen. Aus allen Fenstern strömen die Sonntagsdüfte von warmen Broten und Café.
Heute habe ich die Liebe eines Hundes kennengelernt. Diese Liebe gleicht deiner Liebe zu mir und meiner zu dir. Sie ist naiv, unschuldig, offen und ehrlich, ohne jede Absicht. Sie gibt sich
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