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Die Tänzerin auf den Straßen

Die Tänzerin auf den Straßen

Titel: Die Tänzerin auf den Straßen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Gudrun Sieber
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Zwei Frauen, eine junge und eine etwas ältere, küssten sich und rauchten Gras. Ich verstand sie nicht, sie sprachen kein Englisch. Mir wurde komisch, ich blieb aber doch. Zwei weitere Pilger, die ich noch nicht gesehen hatte, Klaus und Regina aus dem Rheinland, waren ebenfalls dort. Dann kam noch Robert aus Australien, alle um die vierzig Jahre alt. Beim Anblick der Küche verzichtete ich auf die Linsenmahlzeit. Das Refugio war sauberer. Wir krochen auf die Matratzen, die in der oberen Etage eines Holzhauses ausgelegt waren. Der untere Raum war ein Altarraum, wie es schien.

    Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, jedenfalls wurde ich mitten in der Nacht von den anderen Pilgern geweckt, die schon angezogen und ganz aufgeregt waren. Tomás stand da mit Fackel und Schwert und wollte mit uns ein Tempelritterritual zelebrieren. Im unteren Raum warteten schon die beiden Frauen, ebenfalls mit Fackeln in der Hand. Tomás kniete im Tempelrittergewand vor dem Altar und betete, schlug sich das Schwert auf die Schultern, trank etwas aus einem Kelch, gab uns und den Frauen davon und schlug auch uns mit einem Schwert ganz und gar vergoldet, mit einem edelsteinverziertem Griff versehen, auf die Schultern.
    Ich wusste nicht, ob ich wache oder träume. Den Andern ging es ebenso. Dann sang Tomás laut und heilig.
    Als wir oben auf den Matratzen lagen, fand keiner von uns in den Schlaf zurück. Es war etwas Antiquitätenartiges, das ich da erlebt hatte, etwas aus einer anderen Zeit, einer alten Welt, die nur noch für den letzten Tempelritter existierte.
    Tomás erschien bei dem Ganzen nicht sehr froh, die beiden Frauen auch nicht. Alles war wie ein Theaterstück gewesen, und wir vier durften die Inszenierung sehen.
    Am nächsten Morgen stand ich gegen fünf Uhr auf — raus, nur raus hier! In der Natur fühlte ich mich befreit. Ich spürte das Unechte, ebenso wie in den Klöstern und Kirchen, wo kein Ritual mehr etwas mit dem zeitgemäßen Leben zu tun hatte. Sicher hatte Tomas es gut gemeint, doch wir waren mehr erschreckt als beglückt zurückgeblieben.
    Ich lief in den Morgen und sah die wunderbare Bergwelt. Mit einem Mal musste ich laut lachen. Was einem Menschen so alles passieren kann, wenn er unterwegs ist.
    Wieder überkam mich ein Glücksrausch. Der Morgen war kalt. Ich hatte Hunger, doch die Berge atmeten Freiheit und Schönheit. Kurz nach Manjarín ging der Weg bergab, was den Knien nicht so angenehm war.
    Wenig später wurde ich krank. Nach dem Glücksrausch fand ich bis zum Mittag keine Bar oder andere Möglichkeit, mir etwas zu essen zu kaufen. Heißhungrig, wie ich war, aß ich dann doch in einer Bar irgendetwas Verdorbenes, vielleicht war es der Thunfisch auf dem Brötchen. Zehn Minuten danach war mir kotzelend. Ich kniete in der Hitze und erbrach mich ohne Unterlass, konnte kaum gehen vor Übelkeit und Schwäche. Der Weg war sehr beschwerlich, heiß und trocken, mit viel Geröll, Sand und Steinen. Dazu die Last des Rucksacks. Das letzte Wasser goss ich mir über den Kopf, dann hatte ich nichts mehr zu trinken.
    So ist das Leben! Gerade noch vor Glück gejubelt, da plötzlich dreht sich der Wind, und das Lebensgefühl ist ein ganz anderes. Auch ich hatte also eine Körperkrise. Mir war schlecht, und ich wollte nur liegen. Ein Bett irgendwo in der Pampa. Ich betete zum Himmel, dass ich eins bekomme. Der Weg im Bergland war sehr schwierig und anstrengend. Ich litt erbärmlich, der Rucksack wurde immer schwerer. Dann auch noch Durchfall. Ich brauchte ein Hotelzimmer, da in den Herbergen für Kranke keine Möglichkeit der Übernachtung besteht. In einem kleinen Ort vor Ponferrada bekam ich ein Zimmer ganz für mich allein — mit einer Badewanne. Ich dankte dem Leben. Es war auch noch das letzte Zimmer und sehr teuer, dreißig Euro, aber ich lag stundenlang in der Badewanne ganz für mich allein. Welch ein Luxus! Ich lag zwei Tage wie in Trance.
     

V erbrannte Erde,
verbrannte Erde —
ein Krähenschrei.
 
Karger weißer Fels,
karger weißer Fels —
ein Adlerschrei.
 
Brennender Himmel,
brennender Himmel —
mein Menschenschrei
     

Lieber Leon,
    ich liege kurz vor Ponferrada in einem kleinen Hotel, mit einem Bett ganz für mich allein und einer Badewanne, einer echten Wanne mit warmem Wasser, soviel ich will. Ich habe, glaube ich, eine Fischvergiftung. Ständig muss ich an das Bocadillo mit Thunfisch denken, das ich in einer Bar gegessen habe. Mein Bauch schmerzt, Erbrechen und Durchfall quälen mich.

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