Die Tänzerin auf den Straßen
mich wirkte, weil ich offener war als je zuvor.
Wenig später gingen mir die Pilger auf die Nerven. Alle sprachen mich an. Doch ich hatte keine Lust und Kraft zu antworten. Immer die vielen Sprachen. Kleine Kabinen in der nächsten Pilgerherberge. Ich schlafe zusammen mit drei anderen Frauen. Zwei dicke Mamas aus Brasilien, die mich mit Chips füttern wollen und böse werden, als ich ablehne. Ein Spanier spricht mich in seinem Tempo an und erklärte mir seine Liebe, obwohl wir uns nie gesehen haben. Ich wäre am liebsten in ein Mauseloch gekrochen.
In den nächsten Tagen geht es noch höher hinauf in die Berge Galiziens. Ich laufe durch die schönsten Süßkastanienhaine, durch Wälder mit uralten Bäumen. Auf einen Baum treffe ich, den können zehn Pilger nicht umfassen. Das Keltische erreicht mich mit seiner Energie.
La Faba, 1500 Meter hoch. Ich schlafe in einer deutschen Herberge, verwaltet von einem deutschen Verein und von Freiwilligen, die dort umsonst Dienst tun. Ich lobe und preise die deutsche Sauberkeit und den deutschen Fleiß. Jedes Bett bekommt täglich frische Laken und Bezüge. Ein Luxus! Hier ist auch Agnes, die für eine Spende die feinsten Massagen anbietet. Sie war lange in Indien und kann sehr gut mit Energien umgehen.
Am Abend sitze ich in der Küche — in der man gut kochen kann, weil alles da ist an Geschirr und Gerätschaften — und betrachte die Pilger. Es gibt keinen Dünkel und keine Generationsunterschiede, gibt kein Gebaren zwischen Männern und Frauen. Alle sind Pilger auf dem Weg, alle haben schmutzige Füße und Staub im Haar, alle leiden an ihren inneren und äußeren Gebrechen. Jeder geht seinen Weg, der wiederum der Weg aller ist. Ich liebe diese Menschen, selbst wenn jetzt bald der Bustourismus und der Hundert-Kilometer-Tourismus nach Santiago einsetzen. Es ist gut zu sehen, dass die Zeit auch am Jakobsweg nicht vorübergeht.
Alter Mann, hier ist dein heute sehr stilles Meer... Es ist sehr früher Morgen. Ich steige in totaler Dunkelheit hoch nach O Cebreiro. Der Mond ist noch nicht zu sehen, da wir noch Neumondnähe haben. Dafür umkränzt mich ein Sternenhimmel, ein Meer von Lichtern aus dem Universum und der Milchstraße. Ich bin ganz allein unter diesem Zauber. Zu meiner linken Seite der Rote Planet, der Mars. Rechts steigt am Horizont langsam das zarte Rosa der Dämmerung auf. Käuzchenrufe, Stille. Schritt... Schritt. Ich höre das Knirschen unter meinen Füßen, höre mein Herz pochen. Der Weg führt steil nach oben.
Ein Dorf in der Dunkelheit. Fünf Hunde, die mir nachrennen. Fünf Riesenhunde! Nur nicht aufregen. Doch die Angst nimmt mich ein. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Was tun? Von anderen Pilgern hatte ich Gruselgeschichten gehört. Nur nicht schneller laufen. Sind das alles meine persönlichen Dämonen?
Ich ignoriere die Tiere und beginne zu singen, während ich so laufe, als gäbe es die Hunde nicht. Ich singe gegen die Angst an und singe und singe in den Morgen hinein. Die Hunde laufen weg und ich vergesse, dass es noch viele Hunde geben könnte. Ich singe einfach.
Langsam, Leon, erwacht dieser Tag in den wundersamen keltischen Bergen. In O Cebreiro steht der Heilige Gral in der Kirche. Ich entzünde eine Kerze für die Liebe.
Leon, ich rufe dich an, und du sagst mit deiner borkigen Stimme: „Falsch verbunden.“ Ich sage: „Ja, ich weiß, ich liebe dich.“
Die Stimmungen änderten sich. Wieder fühlte ich das Beschwerliche des Weges. Pilgeralltag.
Später dann doch wieder hohe Gefühle beim Gehen, oder ein Glücksrausch mit anderen Pilgern, wenn wir uns bei einem guten Essen und Trinken feierten. Übrigens verrauchte der Wein so schnell wie das Essen bei diesen Anstrengungen.
Die Gefühle waren wie Wellen.
Wälder mit alten Süßkastanien in jeder Größe und Schönheit. Eine Welt, in der es Feen gibt, Nymphen und Waldgeister. Eine weiße Schleiereule in einer uralten Steineiche schaut mich direkt an.
Die Energien fließen durch mich durch. Die Gegend ist voller "Kraft.
Es geht den meisten Pilgern so. Alle werden angeschlossen an einen Strom, der aus der Erde selbst kommt.
Dann wieder Staub und Steine, Sonnenschein und Regen. Winde, die nerven...
D er Staub auf den Wegen verschwimmt in der Zeit.
Alle Wunden heilt die Langsamkeit.
Sie gießt ihren Balsam über die Seele.
Noch weiß der Tag nichts von der Nacht.
Doch im Dämmerschein
gehen sie ineinander ein
und hören die Harfe klingen,
gespielt wie von
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