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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Bolschoi-Theaters ist dieses Jahr hier die leitende Regisseurin und hat die Aufführung mit dem Berliner Ensemble zu Beginn der Saison einstudiert. Heute werden sie den zweiten Akt vorführen.
    Kaum zu glauben, dass Nina vor fünf Jahren noch selbst eins dieser Mädchen war. Manchmal kommt es ihr vor, als wäre es erst gestern gewesen, als sie auf der Liste der Tänzerinnen nervös nach ihrem Namen suchte und über jeden kleinen Aufstieg in der Hierarchie so beglückt war, vom Schwanenmädchen zum jungen Schwan, vom Einspringer zur Zweitbesetzung. Und doch hat sich seitdem alles verändert – obwohl fünf Jahre im Grunde keine lange Zeit sind.
    Keine lange Zeit.
    Erst gestern.
    Und so kommt sie auf die Idee. Sie beugt sich wieder zum Spalt in der Tür vor und erhascht einen Blick auf die beiden Mädchen, die miteinander reden und lachen. Wie die meisten in diesem Raum sind sie noch jung, haben wahrscheinlich gerade erst die Schule verlassen und sind noch nicht lange dabei. Viel mehr lässt sich aus ihren Gesichtern nicht ablesen.
    Ninas Hirn arbeitet fieberhaft, sie überlegt, plant. Als das zweite Mädchen aufsteht und weggeht, versucht sie, das vor der Tür sitzende Mädchen allein anhand ihres Aussehens einzuschätzen, als könnte ein einziger Blick ihr sagen, ob sie das Risiko eingehen sollte. Irgendetwas in den Augen des Mädchens, in ihrer Mimik, lässt Nina daran glauben, dass ihr Plan aufgehen könnte. Sie hat keine Zeit herauszufinden,ob sie richtigliegt, denn das andere Mädchen kann jeden Augenblick zurückkehren. Nina bringt ihre Lippen so nah wie möglich an den Schlitz: »Psst!«
    Das Mädchen scheint sie nicht gehört zu haben.
    Nina hält inne, überdenkt alles noch einmal. Dann etwas heftiger … »Pssst!«
    Nun hat das Mädchen sie gehört. Sie erstarrt mitten in der Bewegung und dreht sich zur Tür um. Nina öffnet sie nur einen winzigen Spalt. »Komm her!«, flüstert sie und hofft, dass das Mädchen sie versteht. »Schnell!« Und dann öffnet sie für den Bruchteil einer Sekunde die Tür ein Stückchen weiter und steckt ihren Kopf in den Spalt, damit das Mädchen sie sehen und erkennen kann, wer sie ist. »
Bitte!
Komm schnell her!« Dann tritt sie zurück und schließt die Tür wieder, um niemand anderen im Raum auf sich aufmerksam zu machen.
    Einen Augenblick lang passiert gar nichts. Dann kommt von der anderen Seite der Tür her ein leises Flüstern in einem Russisch mit starkem deutschem Akzent: »Was wollen Sie?«
    »
Bitte
, hilf mir.
Bitte
, komm her.«
    Dann hat sie einen Einfall und geht rasch zu ihrem Schminkkoffer, um einen der ungefassten Edelsteine, den größten von allen, aus dem Cremetiegel herauszuholen. Nina wischt ihn ab und öffnet die Tür erneut leicht, damit das Mädchen den Diamanten in ihrer Handfläche erkennen kann. Auf Russisch sagt sie: »Ich gebe dir das hier.«
    Obwohl das Mädchen sich bemüht, so zu wirken, als würde sie unbeteiligt an ihrer Strumpfhose herumzupfen, wendet sie ihren Blick doch in Richtung des Türschlitzes, und ihre Augen öffnen sich weit. Sie hat eindeutig noch nie so etwas aus nächster Nähe gesehen.
    »
Bitte «
, flüstert Nina. »Bitte hilf mir.«
    Wieder ist es ungefähr eine Minute lang still. Doch auf einmal huscht das Mädchen, flink wie ein Wiesel, in Ninas Garderobe und schließt die Tür hastig hinter sich.
     
    Drews Wohnhaus lag auf dem Gipfel von Beacon Hill, wo, wie Grigori wusste, selbst teure Apartments kleine Zimmer mit niedrigen Decken, alte Wasserleitungen und keinen Waschmaschinenanschluss hatten. Immerhin war dies der älteste und geschichtsträchtigste Teil der Stadt,im Grunde das Herz von Boston – nur eine U-Bahn-Station entfernt von Cambridge, das auf der anderen Seite des Flusses lag, ein kleiner Spaziergang durch den Common nach Downtown Crossing, und ein paar Straßen weiter befand sich Back Bay. Grigori stand auf dem Bürgersteig aus roten Ziegeln und suchte über der antiquiert wirkenden Klingel nach Drews Namen. Ihm war bewusst, dass er in diesem Augenblick Teil eines Kontinuums war, das begonnen hatte, lange bevor dieses Land bevölkert worden war, bevor das erste Kopfsteinpflaster verlegt wurde und die ersten verzogenen Fensterrahmen den Blick auf diese engen Gassen hier freigaben. Wie viele andere verwirrte, liebeskranke, vielleicht auch einfach dumme Männer hatten schon in dieser hügeligen Straße, womöglich in derselben Ecke oder gar vor demselben Gebäude gestanden und sich gegen eine Enttäuschung

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