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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sich fühlen musste. Sie stellte das Glas zurück aufs Pult und fügte hinzu: »Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass dasselbe auch für das nächste Los mit der Nummer 72 gilt, das Ohrgehänge aus Baltischem Bernstein. Es wurde ebenfalls zurückgezogen.«
    Eine Dame in Grigoris Sitzreihe seufzte laut und stand auf, um zu gehen, während Grigori sich fragte, was diese beiden Zurücknahmen bedeuten mochten. Die Auktionatorin bat ein paar flüsternde Anwesende um Ruhe und erklärte, dass Los Nummer 72A, der Anhänger aus Baltischem Bernstein, immer noch zum Verkauf stand. Der dicke orangebraune Tropfen in seiner goldenen Umhüllung wurde auf die Wand projiziert. Die darin gefangene Spinne und ihr aufgeblähter weißer Beutel wirkten ungeheuer groß und, wie sie dort über allem schwebten, auch ungeheuer einsam. Grigori fühlte sein Herz schneller schlagen, als die Auktionatorin um ein erstes Gebot bat.
    Auf der Stelle schoss die Karte mit der Nummer 99 in die Höhe – sie gehörte einer hellblonden Frau, die rechts neben der ersten Telefonreihe stand. Als direkt darauf die Karte mit der Nummer 176 folgte, schnellte Nummer 99 sofort wieder hoch. So ging es hin und her, bis der Preis bei fünfzigtausend angelangt war.
    »Höre ich irgendwo einundfünfzig?«
    Einen Moment lang war alles ruhig. Aber dann wurde zu Grigoris Linken, nicht weit von ihm und Zoltan entfernt, eine neue Karte hochgehalten.
    »Karte einhundertzwei.«
    Als die Auktionatorin nach zweiundfünfzigtausend fragte, erhob sich Nummer 176 nur noch zögerlich. Doch 102 hielt dagegen, auch als 99 sich zurückmeldete und den Betrag auf vierundfünfzigtausend erhöhte. Als 99 bis fünfundfünfzigtausend ging, wendeten alle die Köpfe nach hinten, um zu sehen, wer diese sture Person war.
    Sie war, wie Grigori auffiel, die einzige Schwarze im Saal, mittelalt und mager, mit einem festen, aber zugleich gelassenen Zug um den Mund. Grigori beschämte der Gedanke, der ihm als Erstes in den Sinn kam – dass sie nicht wie jemand aussah, der genug Geld hatte, um so hoch zu bieten oder auch nur an dieser Auktion teilzunehmen. Ein entsetzlicher, rassistischer Gedanke. Nur weil sie schwarz war, sollte sie nicht an einer Schmuckauktion teilnehmen? Aber nein, das war es ja gar nicht, stellte Grigori mit sonderbarer, erstaunter Erleichterung fest. Es lag gar nicht an ihrer Hautfarbe, sondern an ihrer Kleidung. Die anderen Leute in diesem Raum trugen Seidenschals und maßgeschneiderte Blazer, modische Absätze und saubere, brandneue Stiefel – aber diese Frau war in Krankenhausschuhen erschienen. Diese grellweißen Teile aus Kunstleder mit den breiten Schnürsenkeln. Und ihre Jacke sah aus wie ein leuchtend pinkfarbener Regenmantel, dabei regnete es gar nicht. Selbst der ruhige, gelassene Gesichtsausdruck der Auktionatorin zeigte leichte Anzeichen von Skepsis oder vielleicht auch nur Erstaunen, als die Frau immer wieder unerschütterlich ihre Karte hob.
    Zuerst fragte sich Drew, ob sie wohl eingesetzt worden war, um den Preis in die Höhe zu treiben. Nicht, dass so etwas bei Beller vorkam – zumindest soweit Drew wusste. Aber die Art und Weise, wiedie Frau in dem pinkfarbenen Plastikmantel sich so plötzlich eingemischt hatte und ihre Karte nun immer wieder hochhielt, während der übergewichtige Mann aus der Ecke erschrocken dagegenhielt, ließ sie ins Grübeln kommen. Von ihrem Sitz am Telefon aus konnte Drew wieder und wieder nur den erhobenen Arm erkennen, eine dünne, dunkelhäutige weibliche Hand und einen leuchtend pinkfarbenen Ärmel. Nein, das war sicher keine Preistreiberin; diese Frau wollte den Zuschlag.
    Abgesehen davon verlief der Rest der Auktion undramatisch. Der sonnenbadende Mann in Miami hatte mit keinem seiner Gebote Erfolg, und als er sich von Drew verabschiedete, deutete sein Tonfall an, dass er ihr die Schuld dafür gab. Um sechs Uhr waren alle Snacks verspeist, und einige der Frauen, die in kleinen Grüppchen nur zum Schauen gekommen waren, hatten sich schon auf den Weg ins Prudential Center zum Shoppen gemacht. Drew schaute von Zeit zu Zeit durch den Saal, um zu sehen, ob Grigori und sein Freund noch da waren. Und schließlich fand die Auktion ein Ende, und alle standen auf, streckten sich und gingen los, um ihre Käufe zu tätigen.
    Drew wollte Grigori kurz hallo sagen, ihm nur einmal die Hand schütteln und seine Handfläche auf ihrer spüren. Sie erhob sich, blickte sich nach ihm um und verlor ihn kurzfristig in der Menge. Dann hörte

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