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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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und Mund
notdürftig damit abzudecken. Die Gasse, die sie empfing, war
feucht und lichtarm. Die Häuser standen sich dicht gegenüber
und schienen sich einander zuzuneigen. Der Regen fiel fein
und stetig. Mit raschen Schritten und gesenktem Kopf hastete
Cathérine durch die Straßen, auf denen sich an diesem frühen
Morgen und bei dem schlechten Wetter glücklicherweise kaum
Menschen aufhielten. Ein älterer Mann kam ihr entgegen und
glotzte sie an. Sie merkte, daß ihr Schal verrutscht war. Sie
wußte, wie abstoßend ihre Haut aussah. Fast konnte sie es den
Leuten nicht verdenken, daß sie zurückzuckten.
    Sie atmete leichter, als sie aus der letzten Häuserreihe
heraustrat und das Meer vor sich sah. Träge schwappte es
gegen die Kaimauern, grau wie der Himmel, ohne das
Leuchten, das ihm sonst entstieg. Die gewaltigen Kräne im
Hafen ragten vor der Kulisse des Adlerfelsens empor; Relikte
aus dem Krieg, von den Nazis errichtet und so gründlich
verankert, daß es ein Vermögen kosten würde, sie zu entfernen;
sie blieben also und sorgten in ihrer stählernen Häßlichkeit
dafür, daß La Ciotat niemals ein attraktiver Touristenort am
Mittelmeer werden konnte, daß ihm für immer der Eindruck
einer grauen Arbeiterstadt anhaften würde.
    Eine häßliche Stadt, dachte Cathérine, wie geschaffen für
eine häßliche Frau.
Sie ging ins Bellevue schräg gegenüber vom Hafen, das
einzige Cafe, das am Sonntag zu dieser frühen Stunde schon
geöffnet hatte. Der Wirt kannte sie seit Jahren, sie konnte sich
also mit ihrem entstellten Gesicht zeigen. Sie setzte sich in eine
der hinteren Ecken und zog den Schal vom Hals.
»Einen cafe creme«, sagte sie, »und ein Croissant.«
Philipe, der Wirt, musterte sie mitleidig. »Wieder mal
schlimm heute, nicht?«
Sie nickte, bemühte sich um einen leichten Ton. »Kann man
nichts machen. Die Geschichte behält ihren Rhythmus. Ich war
eben wieder fällig.«
»Ich bringe Ihnen jetzt einen richtig schönen Kaffee«, sagte
Philipe eifrig, »und mein größtes Croissant.«
Er meinte es gut, aber sein offensichtliches Mitleid tat ihr
weh. Es gab nur diese zwei Möglichkeiten, wie Menschen mit
ihr umgingen: voller Mitleid oder mit Abscheu.
Manchmal wußte sie nicht, was schwerer zu ertragen war.
Das Bellevue hatte eine überdachte Terrasse zur Straße hin,
die in der kalten Jahreszeit mit einer durchsichtigen
Kunststoffwand nach vorn geschützt war. Cathérine konnte die
Straße beobachten, die sich allmählich etwas stärker
bevölkerte. Zwei Joggerinnen, begleitet von einem kleinen,
wieselflinken Hund, trabten vorüber; ab und zu kam ein Auto
vorbei; ein Mann mit einem riesigen Baguette unter dem Arm
schlug den Weg in Richtung Altstadt ein. Cathérine stellte sich
vor, wie sehnsüchtig er daheim erwartet wurde, von seiner Frau
und seinen Kindern. Ob er eine große Familie hatte? Oder
vielleicht war er nur mit einer Freundin zusammen, einer
hübschen, jungen Frau, die noch im Bett lag und schlief und
die er mit einem Frühstück überraschen wollte. Sie hatten
einander geliebt in der Nacht, der Morgen danach war
friedlich, und den Regen bemerkten sie kaum. Die junge Frau
hatte wahrscheinlich rosige Wangen, und er sah sie ebenso
verliebt wie bewundernd an.
Sie haßte solche Frauen!
»Ihr Kaffee«, sagte Philipe, »und Ihr Croissant!«
Schwungvoll stellte er beides vor sie hin, schaute dann
sorgenvoll hinaus. »Heute regnet es nur einmal«, prophezeite
er.
Sie rührte ein einsames Stück Zucker in ihre einsame Tasse,
spürte, daß Philipe noch etwas sagen wollte, und hoffte, er
werde es nicht tun, weil es nur wieder zu neuen Schmerzen
führen konnte.
»Mit Ihrem Gesicht«, sagte er verlegen und konnte sie dabei
nicht ansehen, »ich meine, was sagen die Ärzte denn da? Sie
gehen doch sicher zu Ärzten?«
Ihr lag eine patzige Antwort auf den Lippen, aber sie
schluckte sie hinunter. Philipe konnte nichts für ihr Elend, und
zudem mochte sie sich mit ihm nicht überwerfen. Wenn sie in
seine Kneipe nicht mehr gehen konnte, hatte sie keinen
Anlaufort mehr außerhalb ihrer Wohnung.
»Natürlich«, sagte sie, »ich war bei unzähligen Ärzten. Ich
glaube, es gibt kaum etwas, was nicht probiert wurde. Aber ...«
Sie zuckte mit den Schultern. »Man kann mir nicht helfen.«
»Das gibt es doch gar nicht«, ereiferte sich Philipe. »Daß
eine Frau so herumlaufen muß ... Ich meine, die können zum
Mond fliegen und Herzen transplantieren ... aber mit so

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