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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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schlafen können in der frischen Luft.
Sie seufzte, blickte auf das Leuchtzifferblatt des Weckers
neben ihrem Bett. Es war zehn Minuten vor elf.
Sonntag, 7. Oktober
1
    Sie schlief fast gar nicht in dieser Nacht. Zeitweise hatte sie
den Eindruck, als betrachte sie das Umspringen der Zahlen auf
dem Wecker. Vermutlich war es auch so. Mit weit
aufgerissenen Augen starrte sie die Uhr an. Es wurde halb eins.
Es wurde eins. Zehn nach eins. Zwanzig nach eins. Halb zwei.
    Um Viertel vor zwei stand sie auf und ging in die Küche
hinunter, um ein Glas Wasser zu trinken. Sie fror in dem
leichten T-Shirt, fand aber ihren Bademantel nicht. Die Fliesen
in der Küche waren sehr kalt unter ihren nackten Füßen. Sie
trank das Wasser in kleinen Schlucken und starrte den
Rolladen vor dem Fenster an. Sie wußte, daß ihr Verhalten
neurotisch war. Was war schon passiert? Ihr Mann war nicht
daheim und hatte vergessen, sie vor dem Einschlafen noch
einmal anzurufen. Morgen früh würde er sich melden. Er
würde ihr erklären, daß er sich ins Bett gelegt und noch ein
wenig gelesen hatte, und daß er darüber plötzlich eingeschlafen
sei. Er war zu müde gewesen. Sie erinnerte sich, noch darüber
nachgedacht zu haben. Über seine ungewöhnliche Müdigkeit.
Er hatte erschöpfter geklungen, als sie ihn je erlebt hatte. Kein
Wunder, daß ihm an solch einem Tag ein derartiges
Versäumnis unterlief. Daß er anzurufen vergaß. Daß er ...
    Die Vernunft, mit der sie ihre Unruhe unter Kontrolle hatte
bringen wollen, löste sich bereits wieder auf. Die Angst – ein
Gefühl hoffnungslosen Alleinseins – schoß wie eine
Stichflamme in ihr hoch. Sie kannte dies, es war nicht neu für
sie. Die Furcht vor dem Alleinsein hatte sie zeitlebens
begleitet, und sie hatte nie gelernt, ihrer Herr zu werden. Sie
überfiel sie aus heiterem Himmel, und es standen Laura
keinerlei Waffen zur Verfügung, sich zu wehren. Auch jetzt
brachen ihr Stolz und ihre Vorsicht, die sie den ganzen Abend
über noch bewahrt hatte, zusammen. Sie ließ ihr Wasserglas
stehen, lief ins Wohnzimmer, griff nach dem Telefonhörer und
wählte Peters Handy-Nummer. Wiederum meldete sich am
anderen Ende schließlich nur die Mailbox. Diesmal hinterließ
sie eine Nachricht.
    »Hallo, Peter, ich bin es, Laura. Es ist fast zwei Uhr nachts,
und ich mache mir Sorgen, weil du nicht angerufen hast. Und
warum gehst du nicht an dein Telefon? Ich weiß, es ist albern,
aber ...«, sie merkte, daß ihre Stimme weinerlich wie die eines
kleinen Kindes klang, »ich fühle mich so allein. Das Bett ist
groß und leer ohne dich. Bitte, melde dich doch!«
    Sie legte auf. Das Sprechen hatte sie ein wenig erleichtert.
Zudem hatte sie seine Stimme in der Ansage gehört, und auch
dies hatte etwas von einer Kontaktaufnahme – wenn sie auch
höchst einseitig war.
    Sie trank sehr selten Alkohol, aber nun schenkte sie sich
etwas von dem Schnaps ein, der für Gäste auf einem silbernen
Servierwagen stand. Das Zimmer wurde nur beleuchtet von der
Lampe, die draußen im Flur brannte, und wie immer, wenn sie
hier drinnen stand, erfreute sich Laura an seiner besonderen
Schönheit. Das Wohnzimmer war ihr besonders gut gelungen,
und das erfüllte sie mit Stolz. Um die Einrichtung des Hauses
hatte sie sich praktisch allein gekümmert, damals vor vier
Jahren, als sie es gekauft hatten und in den feinen Frankfurter
Vorort gezogen waren. Peter hatte zu dieser Zeit besonders viel
zu tun gehabt, hatte ihr alles allein überlassen.
    »Geld spielt keine Rolle«, hatte er gesagt und ihr seine
Kreditkarte in die Hand gedrückt, »kauf, was dir gefällt. Du
hast einen wunderbaren Geschmack. Wie immer du es machst,
ich werde es lieben.«
    Sie war glücklich gewesen, eine Aufgabe zu haben. Für
gewöhnlich wurden ihr die Tage oft ein wenig lang; zwar half
sie Peters Sekretärin hin und wieder bei der Buchhaltung, aber
diese Tätigkeit füllte sie nicht aus und befriedigte sie nicht. Sie
war Künstlerin. Es machte ihr keinen Spaß, Papiere zu ordnen,
Belege zu sortieren und Zahlenkolonnen zu addieren. Sie tat es,
um Peter zu entlasten. Aber ständig wünschte sie, sie könnte ...
    Nein. Wie üblich brach sie beim Gedanken an ihre eigenen
Wünsche sogleich ab. Es war nicht gut, unrealistischen
Träumen nachzuhängen. Ihr Leben war wunderbar, ihr Leben
war besser als das vieler anderer Menschen. Sie hatte dieses
zauberhafte Haus eingerichtet, sie dekorierte es fast täglich um,

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