Die Taeuschung
ganzen Schar Kindern begrüßt zu werden ...« Er
grinste melancholisch. »Na ja, eine ganze Schar war es dann
zwar nicht, aber die zwei haben mich schon auch in Trab
gehalten.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Laura, »ich habe nur
eine Tochter, und selbst der gelingt es durchaus, mich
umfassend zu beschäftigen.«
»Ich habe dich das, glaube ich, schon einmal gefragt: Warum
holst du sie nicht hierher? Wie kannst du es aushalten ohne
sie?«
»Ich weiß sie in guten Händen. Und ich bin allein hier
beweglicher. Ich könnte mich im Augenblick einfach nicht so
gut um sie kümmern, wie meine Mutter das tut.«
Er nickte, aber sie hatte nicht den Eindruck, daß er überzeugt
war.
Mit seiner Vorgeschichte, dachte sie, kann er vermutlich
nicht begreifen, wie man sich freiwillig auch nur für eine
Stunde trennen kann.
»Die Gefühle der Väter werden in den meisten
Scheidungsfällen auf geradezu brutale Weise mißachtet«, sagte
Christopher. »Ich habe mich damals mit einer
Selbsthilfegruppe in Deutschland in Verbindung gesetzt. Sie
bestand aus Vätern, denen ebenfalls die Kinder weggenommen
wurden. Man versuchte einander mit Rat und Tat zur Seite zu
stehen. Manche kämpften seit Jahren um ein erweitertes
Umgangsrecht oder sogar um das Sorgerecht. Aber sie standen
auf ziemlich verlorenem Posten, und nachdem mir das
klargeworden war, habe ich mich von der Gruppe
zurückgezogen. Ich habe akzeptiert, daß es die Familie, die ich
hatte, für mich nicht mehr geben wird. Aber ich sagte mir auch,
daß ich immer noch jung genug sei für einen Neuanfang.«
»Und das bist du auch«, erwiderte Laura mit Wärme in der
Stimme. »Ich denke, es war das Beste, was du tun konntest: die
Situation anzunehmen und nach vorn zu blicken. Anstatt deine
Kräfte in einem aussichtslosen Kampf zu verschleißen und
darüber völlig die Gegenwart und die Zukunft zu vergessen.«
»Siehst du das wirklich so?«
»Natürlich. Und ich bin davon überzeugt, daß es ein neues
Glück für dich geben wird.«
Er sah sie mit einem seltsam eindringlichen Blick an. »Es
war ein ganz besonderes Gefühl ... vorhin«, sagte er.
»Hierherzukommen ... die Lichter in den Fenstern zu sehen, die
in die Nacht strahlten, warm und erwartungsvoll. Zu wissen,
dort ist jetzt eine Frau, die auf mich wartet, die ein Essen
vorbereitet, den Kamin angezündet, eine Weinflasche geöffnet
hat ... Noch schöner wäre es gewesen, auch von der kleinen
Sophie begrüßt zu werden. Den Eifer zu sehen, mit dem sie mir
ihren Turm aus Bauklötzchen zeigen will und den Vogel, den
sie gemalt hat ... Es wäre vollkommen gewesen ...«
Auf eine beunruhigende Weise hatte sie plötzlich das
Gefühl, er komme ihr zu nah, und sie versuchte, ihn mit Ironie
wieder auf Distanz zu bringen.
»Oh, aber absolut vollkommen wäre es zweifellos gewesen,
wenn ich etwas weniger Salz an das Zucchinigemüse getan
hätte«, sagte sie und kicherte, denn sie hatten beide während
des Essens eine Menge Wasser trinken müssen.
Christopher griff ihren scherzhaften Ton nicht auf.
»Du weißt ja«, sagte er, »was es bedeutet, wenn Köche das
Essen versalzen ...«
Fast unmerklich rückte sie ein kleines Stück von ihm ab.
»Ich glaube nicht«, entgegnete sie steif, »daß man derlei
Weisheiten verallgemeinern kann.«
Christopher sah ihr direkt in die Augen. Sie versuchte,
seinem Blick standzuhalten, senkte aber schließlich die Lider.
»Laura«, sagte er sehr leise, »komm, sieh mich an.«
Widerstrebend hob sie den Blick. »Ich glaube nicht«, wehrte
sie sich schwach, als er sein Gesicht dem ihren näherte, »ich
glaube nicht, daß ich ...«
Er küßte sehr sanft ihre Lippen. Sie war überrascht, wie
angenehm sich die Berührung anfühlte. Wann war sie zuletzt
so geküßt worden? Peter hatte ihr schon lange nur noch den
unverbindlichen Begrüßungs- oder Abschiedskuß auf die
Wange gehaucht, den entfernte Bekannte einander gaben.
»Was glaubst du nicht?« fragte er und küßte sie noch einmal.
Sie glaubte, daß sie nicht wollte, was er da tat, aber aus
irgendeinem Grund war sie nicht fähig, ihm das zu sagen. Sie
hatte seine Worte nicht gemocht, aber sie reagierte auf seine
Berührung. Ohne daß ihr Kopf dies gewollt hätte, erwachte ihr
Körper, wurde warm und weich und erwartungsvoll.
Sie stand rasch auf. »Ich bringe die Gläser in die Küche«,
sagte sie.
Christopher folgte ihr mit der halbleeren Weinflasche. Als
sie unschlüssig an der Spüle stand, trat er
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