Die Taeuschung
frühen
Morgenstunden plötzliche Reue empfunden hätte, im
Gegenteil, sie bedauerte nichts von dem, was sie getan hatte.
Es war eher eine untergründige Ahnung von Bedrohung, die in
ihr herumgeisterte, der Eindruck, sie habe etwas in Gang
gesetzt, das sie vielleicht nicht würde kontrollieren können.
Es mochte an Christophers Heiratsantrag liegen.
Selten hatte etwas sie so sehr überrascht, und selten hatte sie
sich in einer Situation so unbehaglich gefühlt. Da ihr klar war,
daß ein so lebensentscheidender Entschluß wie eine Heirat
kaum innerhalb weniger Minuten der Leidenschaft auf einem
Spültisch geboren wurde, mußte sie davon ausgehen, daß
Christopher seine Zuneigung schon eine Weile länger in sich
herumtrug. Schon zu der Zeit vor Peters Tod? Der Gedanke
war ihr unangenehm, ebenso wie die Erinnerung an sein
Verhalten während der letzten Tage. Er hatte deutlich ihre
Nähe gesucht, obwohl sie ihm mehr als einmal signalisiert
hatte, lieber allein sein zu wollen. Sie hatte dies als
freundschaftliches Verhalten interpretiert, hatte sich geschämt,
weil sie so abweisend aufgetreten war. Nun begriff sie, daß er
selbst das Bedürfnis nach ihrer Nähe verspürt hatte, und daß es
ein sehr gesunder Instinkt gewesen war, der sie hatte
zurückweichen lassen.
Und jetzt, dachte sie, muß ich unbedingt die Kurve kriegen,
ohne ihm weh zu tun.
Sie räumte die Spülmaschine mit dem Geschirr vom
Vorabend aus, brachte Gläser, Teller und Besteck in die
Schrankfächer und schaute dabei immer wieder auf die Uhr.
Sie mußte unbedingt mit Anne sprechen, wagte aber nicht, sie
vor sieben Uhr zu stören. Sie kehrte sogar noch die Küche und
schaltete den Backofen an, um sich ein altes Baguette zum
Frühstück aufzubacken.
Um eine Minute vor sieben wählte sie Annes Nummer.
3
Es war besetzt!
Er starrte auf den Hörer in seiner Hand, als könne ihm dieser
eine Antwort auf seine brennende Frage geben.
Es war sieben Uhr am Morgen.
Mit wem, um Himmels willen, telefonierte sie um diese
Uhrzeit?
Er drückte die Telefongabel nieder, wählte erneut Lauras
Nummer. Vielleicht hatte er sich vertan.
Das Besetztzeichen erklang erneut. Es kam ihm vor, als
schwinge ein hämischer Ton darin mit, so als wolle es ihn
verspotten.
Er spürte das Kribbeln in den Fingerspitzen. Vorbote jener
Wut, die ihn auf so entsetzliche Art packen konnte. Die Wut,
von der er gehofft hatte, sie werde ihn nie wieder überfallen.
Hoffentlich hatte sie eine verdammt gute Erklärung für
dieses Gespräch am frühen Morgen!
4
Anne hatte verschlafen geklungen, als sie sich meldete, aber sie
war sofort hellwach, als sie Lauras Stimme erkannte, und sie
lauschte aufmerksam und konzentriert ihren Schilderungen.
»Es ist nicht zu fassen«, sagte sie schließlich, »kaum ist der
letzte Kerl unter der Erde, meldet sich schon der nächste mit
Heiratsabsichten an! Weißt du, daß während meines ganzen
Daseins noch kein einziger Mann mit dieser Bitte an mich
herangetreten ist?«
Laura mußte lachen. Anne auf dem Standesamt war ein zu
eigenartiger Gedanke. »Du verkündest ja auch ständig, wie
spießig du es findest, wenn zwei Menschen heiraten«, sagte sie,
»welcher Mann sollte sich da noch trauen, dir ein derart
unsittliches Angebot zu unterbreiten?«
Auch Anne mußte kichern, und Laura merkte, daß es ihr
bereits besser ging. Es war immer wieder erstaunlich, wie gut
es ihr tat, Annes Stimme zu hören und ihr etwas rauchiges
Lachen, mit dem sie selbst größere Probleme innerhalb
weniger Sekunden entschärfen konnte.
»Also«, sagte Anne, »für dich kommt dieser Christopher
keinesfalls in Frage, wenn ich das richtig verstanden habe.«
»Nein, wirklich nicht. Gar kein Mann kommt im Augenblick
für mich in Frage. Ich wollte nur ...«
»Du wolltest nur mal ordentlich vögeln und sonst nichts«,
sagte Anne verständnisvoll, denn ziemlich genau das war es,
was sie im wesentlichen von den Männern wollte. »Aber das
kannst du ihm doch klar machen!«
»Natürlich. Aber es ist mir irgendwie unangenehm. Ich
glaube, er hat in mir nie die Frau gesehen, die sich ... na ja,
einfach so, ohne tiefere Gefühle mit einem Mann ins Bett legt.«
»Dann hat er sich eben getäuscht und wird das begreifen
müssen. Laß dir bloß kein schlechtes Gewissen einreden! Du
hast ihm schließlich nicht vorher die Ehe versprochen. Wenn er
das anders sieht, ist es sein Problem.«
»Das stimmt.« Laura wußte, daß Anne recht hatte, war aber
dennoch
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