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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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beschäftigt?« Ihr Lächeln war warm und erinnerte ihn
an Nadines Lächeln, wie es während der ersten Jahre ihrer Ehe
gewesen war. Schon lange hatte sie es ihm nicht mehr
geschenkt. Inzwischen musterte sie ihn nur noch mit Kälte und
Abneigung.
    Aber Marie mochte ihn, hatte ihn immer gemocht.
»Ich bin gekommen, Nadine nach Hause zu holen«, sagte er.
Sie sah ihn nicht an, spielte nur weiter mit der Tasse herum.
    »Nadine ist nicht da.«
»Sie sagte aber, sie wollte zu dir.« Er hoffte, daß sie seine
Angst nicht bemerkte. Hatte Nadine ihn schon wieder belogen?
Trieb sie sich erneut irgendwo herum und setzte ihm Homer
auf? Und wußte eigentlich Marie etwas von dem Liebesleben
ihrer Tochter?
»Was heißt das?« setzte er nervös hinzu. »Sie ist nicht da?«
»Sie ist zum Einkaufen gefahren«, sagte Marie, »nach
Toulon. Es kann länger dauern, denn sie wollte danach noch
zur Polizei.«
»Zur Polizei?«
»Gestern war ein Kommissar hier. Hat eine halbe Stunde mit
ihr gesprochen und sie für heute vormittag noch mal zu sich
bestellt. Sie hat mir nichts Genaues gesagt. Es ging wohl um
diesen Bekannten von euch, der ermordet worden ist.«
»Peter Simon. Ja, bei mir waren sie auch deswegen.« Er
verschwieg, daß sie gleich zweimal an einem Tag da gewesen
waren und daß sie bei ihrem zweiten Besuch mit ihrer Frage
nach seinem genauen Aufenthaltsort am Abend des 6. Oktober
seiner Ansicht nach einen klaren Verdacht ausgesprochen
hatten. Er hatte ihnen wahrheitsgemäß geantwortet,
namentliche Zeugen jedoch nicht benennen können, und er war
überdies fast versunken vor Scham, weil sie nun alles wußten,
weil er als Schlappschwanz vor ihnen stand, der nicht in der
Lage gewesen war, seine Frau am Fremdgehen zu hindern.
Oder war er in ihren Augen sehr wohl in der Lage gewesen?
Glaubten sie wirklich, er habe den Nebenbuhler am Schluß
umgebracht, um seine Frau zurückzugewinnen? Sie baten ihn
jedenfalls, sich zur Verfügung zu halten und die Region nicht
zu verlassen.
Obwohl er sich deswegen Sorgen machte, spürte er in
diesem Moment doch Erleichterung. Nadine hatte sich wirklich
bei ihrer Mutter einquartiert. Peter Simon war tot, und es gab
niemanden sonst in ihrem Leben. Und inzwischen war sie auch
nicht mehr die Frau, die jeden Mann für sich gewinnen konnte.
»Lohnt es sich, daß ich warte?« fragte er. Ihm entging nicht,
daß ihn Marie nicht aufgefordert hatte, sich zu setzen, und
irgend etwas sagte ihm, daß dies nicht aus Nachlässigkeit
geschehen war. Sie wollte nicht, daß er länger blieb.
»Marie«, sagte er leise, »ich kann nicht verstehen, wie es so
weit hat kommen können. Ich schwöre dir, ich habe in all den
Jahren versucht, Nadine glücklich zu machen. Es ist mir
offenbar nicht so geglückt, wie ich es gern gehabt hätte. Aber
ich denke, daß du mich recht gut kennst und daß du weißt, daß
ich nie wissentlich und willentlich etwas getan habe oder tun
werde, was ihr schaden könnte. Ich liebe Nadine. Ich möchte
mit ihr zusammen alt werden. Ich will sie nicht verlieren.«
Marie sah ihn endlich an. Sie hatte Tränen in den Augen.
»Ich weiß, Henri. Du bist ein wunderbarer Mann, und das habe
ich Nadine auch immer wieder gesagt. Diese Ruhelosigkeit in
ihr ... diese Unzufriedenheit ... das hat nichts mit dir zu tun.
Das liegt vielleicht einfach in ihren Genen. Ihr Vater war
genauso. Er konnte sich nicht auf uns als Familie einlassen.
Immer meinte er, irgendwo anders müßte das Glück liegen.
Immer jagte er hinter etwas her, wovon er, glaube ich, selbst
nicht genau wußte, was es war. Mir selbst ist dieses Naturell
fremd, aber ich bin damit geschlagen, es zweimal in meiner
Familie erleben zu müssen.«
»Nadine wird älter«, sagte er.
»Ja, und darin sehe auch ich eine Hoffnung. Sogar ihr Vater
hat irgendwann eine gewisse Stabilität in seinem Leben
gefunden, und es mag sein, daß dies auch bei Nadine
geschehen wird. Gib ihr ein wenig Zeit. Und hör nicht auf, sie
zu lieben.« Sie wischte sich die Tränen fort, die über ihre
Wangen liefen. »Sie ist ein zutiefst unglücklicher Mensch, und
es gibt kaum etwas, das einer Mutter mehr weh tut, als ihr
eigenes Kind so zu sehen und ihm nicht helfen zu können. Ich
möchte nicht, daß sie so endet wie ich.« Sie machte eine
Handbewegung, mit der sie den düsteren Raum, den lieblos
gedeckten Frühstückstisch, die leere Kaffeetasse und sich
selbst in ihrem verschlissenen Bademantel umschrieb. »Ich
möchte sie nie so dasitzen sehen, wie du mich

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