Die Taeuschung
sich. Aber zumindest die
Gewißheit, daß es richtig war, was sie tat.
Und vielleicht ist schon das etwas, wofür man dankbar sein
muß, dachte sie.
Sie war erstaunt, als sie feststellte, daß es ein Uhr war. Seit
dem frühen Morgen trödelte sie nun hier herum. Ob Henri
verreist war?
Egal, entschied sie, dann rede ich später mit ihm. Oder gar
nicht. Am Ende hat er selbst schon begriffen, wie die Dinge
stehen.
Sie stieg in ihr vollbeladenes Auto und fuhr los.
Unweigerlich mußte sie an der Stelle vorbei, an der Peters
verlassenes Auto geparkt hatte, und wieder versetzte ihr dies
einen Stich.
Nicht daran denken, befahl sie sich, hielt die Augen starr
geradeaus gerichtet und die Lippen fest zusammengepreßt, es
ist vorbei. Nicht daran denken.
Entweder heute abend noch oder am nächsten Tag würde sie
herkommen und ihre restlichen Sachen holen.
Und dann war das Kapitel unwiderruflich abgeschlossen.
10
Sie hörte ihn kommen. Ganz plötzlich war da ein Geräusch, das
die Grabesstille des Kellerraumes durchbrach. Eine Art
Knacken, ein Schleifen ... sie vermochte es nicht einzuordnen.
Es irritierte sie, weil es so gänzlich unerwartet kam nach all
dem endlosen Schweigen, und es dauerte einige Sekunden, bis
sie begriff, daß jemand die Kellertreppe herunterkam. So sehr
sie anfangs gewünscht hatte, ihr Peiniger möge sich zeigen,
möge ihr sagen, was er vorhatte, möge ihr die Gelegenheit
geben, ihrerseits mit ihm zu sprechen, so sehr erschreckte sie
nun seine tatsächliche Nähe.
Der Kerl war gefährlich. Blitzartig drängten sich wieder die
Bilder Camilles und Bernadettes in ihre Erinnerung, wie sie
ausgesehen hatten, nachdem er mit ihnen fertig gewesen war,
und ihr Herz begann laut und wie rasend zu schlagen, und sie
spürte das instinktive und völlig absurde Verlangen, sich
irgendwo hier in diesem Raum zu verstecken. Die Schritte
kamen immer näher, und zu ihrem Entsetzen schien er auch
noch laut zu keuchen, bis sie begriff, daß sie selbst diese lauten
Atemzüge ausstieß.
Als die Tür aufgerissen wurde, fiel ein Lichtschein herein,
der sie so blendete, daß sie sofort das Gesicht tief in den
Händen vergrub. Schmerzhaft wie ein Messerstich war der
Strahl in ihre Augen gedrungen, sie konnte ein Jammern nicht
unterdrücken.
»Miststück«, sagte jemand, »verdammtes Miststück. Hast du
eine Ahnung, welche Scherereien du mir machst?«
Sie kroch noch mehr in sich zusammen und schrie leise auf,
als ein Fußtritt sie am Oberschenkel traf.
»Schau mich an, wenn ich mit dir rede, du Miststück!«
Mühsam blinzelnd blickte sie auf. Ganz langsam nur gelang
es ihren Augen, sich an das Licht zu gewöhnen, obgleich es
sich nur um den eher matten Schein einer Taschenlampe
handelte. Er hielt die Lampe gesenkt, so daß sie ihn erkennen
konnte, ja, es war ihr Entführer, der vor ihr stand.
Er trug Jeans und einen grauen Rollkragenpullover und war
barfuß. Er war ein wirklich gut aussehender Mann, stellte sie
fest und wunderte sich, daß sie zu einem solchen Gedanken in
ihrer Situation überhaupt fähig war.
»Du hast dich hier satt gegessen. Stimmt’s?«
Es hatte keinen Sinn, dies abzustreiten, und so nickte sie,
wofür sie mit einem weiteren Fußtritt bestraft wurde.
»Was glaubst du, warum du hier bist? Um dich an meinen
Vorräten zu bedienen?«
Sie wollte ihm antworten, doch sie brachte nur einen leisen
Krächzlaut hervor. Sie hatte schon so lange nicht mehr
gesprochen, und vielleicht waren es auch Hunger und Durst
und Angst, die ihr die Kehle zuschnürten.
»Wolltest du etwas sagen?« fragte er drohend.
Endlich gelang es ihr, sich zu artikulieren. »Ich ... dachte ...
die Sachen wären ... für mich.« Ihre Stimme klang fremd in
ihren Ohren. »Sonst ... sonst hätten Sie mich ... nicht hierher ...
gebracht.«
»Schlaues Ding«, sagte er und hob die Taschenlampe, um sie
zu blenden. Gequält schloß sie die Augen. Als sie merkte, daß
er die Lampe wieder senkte, hob sie die Lider und sah, daß er
seine rechte Hand ununterbrochen zu einer Faust ballte und
wieder öffnete. Er strahlte Nervosität und Aggression aus, und
sie wußte, daß ihre Lage sehr ernst war.
»Ich kann dich hier nicht ewig behalten«, sagte er, »das wirst
du einsehen. Und wenn du ausgiebig ißt und trinkst, dauert es
länger. Wir werden daher die Vorräte entfernen.«
Er will, daß ich sterbe. Er will wirklich, daß ich sterbe.
Jetzt erst bemerkte sie den Korb, den er neben sich abgestellt
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