Die Taeuschung
erzählt. Über ihre jahrelange Affäre mit Peter
Simon. Über ihre Ehe, die für sie keine Ehe mehr war. Über die
Unerträglichkeit ihres Lebens im Chez Nadine. Über all die
Hoffnungen, die sie mit Peter verbunden hatte. Sie hatte von
der geplanten Flucht nach Argentinien berichtet und von dem
neuen Anfang, den sie beide dort hatten wagen wollen. Und sie
hatte ihm gesagt, daß ihr Leben zerstört war, seit man Peter tot
in den Bergen gefunden hatte.
Bertin hatte sie sanft getadelt, weil sie mit all dem nicht
früher herausgerückt war, und hatte sie angewiesen, sich zu
seiner Verfügung zu halten, die Gegend keinesfalls zu
verlassen. Sie hatte ihm die Adresse ihrer Mutter gegeben, und
als sie gegangen war, hatte sie sich gefragt: Ob ich jetzt wohl
verdächtig bin?
Es hatte sie erstaunt, Henri nicht anzutreffen, noch mehr
verwundert hatte sie ein Schild an der vorderen Tür, auf dem
ziemlich schlampig die Information gekritzelt stand, daß das Chez Nadine heute geschlossen bleiben werde. An einem
gewöhnlichen Dienstag. Das war absolut ungewöhnlich für
Henri. Das Chez Nadine war sein Kind, sein Liebstes, ein Teil
von ihm. Nadine konnte sich nicht erinnern, daß er es in all den
Jahren an einem einzigen Tag außer der Reihe geschlossen
hatte, und selbst am offiziellen Ruhetag, dem Montag, war er
um das Restaurant rotiert und hatte all die Dinge erledigt, für
die er sonst keine Zeit fand.
Vielleicht, hatte sie gedacht, während sie auf das Schild
starrte, hätten wir einen Tag in der Woche für uns gebraucht.
An dem wir Dinge gemeinsam unternehmen, die Spaß machen,
und alles vergessen, was mit der verdammten Kneipe
zusammenhängt.
Aber fast im selben Moment wußte sie, daß sie sich mit
solchen nachträglichen Gedanken um die übersehenen
Rettungsmöglichkeiten ihrer Ehe nur selbst etwas vormachte.
Denn an der Zeit, die sie füreinander hatten oder nicht hatten,
hatte es nicht gelegen. Während der Wintermonate waren stets
tagelang keine Gäste gekommen, sie hatten nicht kochen und
nicht einkaufen müssen, die Buchhaltung war erledigt gewesen
und die Dachrinne ausgebessert und die Gartenstühle
gestrichen ... Und irgendwann war gar nichts mehr zu tun
gewesen und sie hatten einander am Küchentisch
gegenübergesessen, heißen Kaffee vor sich und vielerlei
Möglichkeiten, miteinander zu sprechen, sich an den Händen
zu fassen, einander zu erforschen, den Schwingungen zu
lauschen ... Aber da war nichts gewesen. Nur Sprachlosigkeit,
Unverständnis und – jedenfalls von ihrer Seite aus –
Feindseligkeit und eine heftige Abneigung, irgendeine Art von
Nähe entstehen zu lassen.
Sie hatte den Gedanken an das, was hätte sein können,
weggeschoben; es war müßig, ihn zu vertiefen, denn den
Punkt, an dem eine Umkehr möglich gewesen wäre, hatten sie
längst überschritten. Sie hatte die Tür aufgeschlossen, hatte
festgestellt, daß Henri nicht da war, hatte ihre Koffer vom
Dachboden geholt und einen ersten Schwung an Kleidern und
Wäsche eingepackt, zudem die wichtigsten Briefe, Tagebücher,
Bilder aus ihrer Schreibtischschublade genommen. Diese
entweihte Schublade, an der sich Cathérine zu schaffen
gemacht hatte, um sie auszuspionieren, um Beweise gegen sie
zu finden, um sie zu erniedrigen ... Schon deshalb, dachte sie,
könnte ich hier nicht mehr leben. Das Gefühl einer zutiefst
verletzten Intimsphäre würde nie wieder verschwinden.
Sie hatte sich Zeit gelassen, weil sie gehofft hatte, Henri
werde auftauchen. Zwar graute ihr vor dem Gespräch mit ihm,
aber sie hätte es doch gern hinter sich gebracht. Sie wollte ihm
das Ende ihrer Ehe so klar und deutlich mitteilen, daß er es
begriff und sie in Zukunft sicher sein konnte, keinerlei Druck
mehr von ihm zu erleben. Sie wollte einen klaren,
unmißverständlichen Abschluß, der sie beide ein für allemal
voneinander trennte.
Sie schaffte die Koffer ins Auto, mußte dann einen von
ihnen wieder ins Haus zurückschleifen, weil er nicht mehr
hineinpaßte. Wie sehr hatte sie immer von einem schönen,
großen, repräsentativen Auto geträumt, aber das gehörte wohl
auch zu den Wünschen, die sich erledigt hatten, und es war,
wie sie zugeben mußte, bei weitem nicht das Schlimmste von
allem.
Dann setzte sie sich in die Küche und rauchte eine Zigarette,
trank einen Kaffee, rauchte eine zweite Zigarette, schaute
hinaus in den strahlenden Tag und fühlte nicht einen Funken
von Zuversicht oder Hoffnung in
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