Die Taeuschung
vorhatte«, sagte
Stephane. »Er wollte dich mit einem Strick erdrosseln und
danach deine Kleider mit einem Messer in Fetzen schneiden.
Soviel ist doch mittlerweile klar.« Er wurde immer gehässig,
wenn er Hunger hatte, und jetzt gerade hatte er verdammten Hunger.
Sie starrte ihn aus großen Augen an. Ihr Gesicht war
kalkweiß. »Stephane«, stammelte sie, »Stephane, ich kann
nicht mehr ...«
»Quatsch. Du trinkst jetzt erst mal einen Schnaps, und dann
gehen wir los und sehen zu, daß wir bei Arlechino jeder eine
Portion Spaghetti kriegen. Ich muß unbedingt etwas essen.«
Er schaukelte seinen dicken Bauch ins Wohnzimmer hinüber
und kehrte mit einem Glas Birnenschnaps zurück. Sie sträubte
sich zunächst, aber er bestand darauf, daß sie trank. Er wollte
verhindern, daß sie wirklich hysterisch wurde, und außerdem
sollte sie endlich auf die Füße kommen und mit ihm zum Essen
gehen.
Dann erklärte er ihr, daß er sie keineswegs ernst nehme, es
jedoch satt habe, daß nichts mehr wie gewohnt funktionierte.
»Ich werde mir etwas überlegen«, versprach er, und als sie
auf dem Weg zum Arlechino waren – sie einen halben Schritt
hinter ihm und noch immer leichenblaß –, erläuterte er ihr
seinen Plan.
»Wann arbeitest du wieder bei Berard?« fragte er. »Heute
noch?«
»Nein. Morgen nachmittag wieder.«
»Gut. Du gehst also abends von dort zurück. Um wieviel
Uhr?«
»Um zehn.«
»In Ordnung. Ich hole dich ab.«
Dieses Angebot machte sie beinahe fassungslos. »Du holst
mich ab?« Sie schien nicht zu wissen, wie sie seinen Vorschlag
einordnen sollte. »Wieso holst du mich ab?« Dann kam ihr
offenbar ein Gedanke, und ihre Augen wurden noch größer.
»Du denkst auch, daß der Killer es auf mich abgesehen haben
könnte? Du hast Angst, wenn ich allein herumlaufe?«
»Gott, welch ein Blödsinn! Ich hole dich im übrigen auch
nicht direkt ab. Ich werde mich dort bei Berard herumtreiben,
natürlich so, daß niemand mich sieht. Und wenn du
herauskommst, folge ich dir. Du drehst dich bitte nicht um, bist
so wie immer ...«
»Aber wenn ich wie immer bin, drehe ich mich ständig um!
Ich habe ja dauernd das Gefühl, daß mir jemand folgt.«
Er seufzte, tief und theatralisch. »Dann drehst du dich eben
um. Aber du rufst nicht meinen Namen oder hältst Ausschau
nach mir. Ich werde da sein.«
»Aber ...«
»Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder dieser große
Unbekannte existiert tatsächlich, dann werde ich ihn entdecken
und herausfinden, wer er ist und was er im Schilde führt. Oder
es gibt ihn nicht, dann wirst du mir hoffentlich glauben, daß
nur ich dir gefolgt bin und du im übrigen unter Hirngespinsten
leidest. Wobei ich praktisch sicher bin, daß Letzteres der Fall
sein wird.«
»Aber es könnte doch sein, daß es ihn gibt, aber er gerade
morgen nicht auftaucht. Dann denkst du, alles ist in Ordnung,
aber in Wahrheit ...«
»... in Wahrheit wirst du einen Tag später abgemurkst. Das
alles ist schon pathologisch bei dir, Pauline. Weißt du, am
Anfang unserer Beziehung dachte ich immer über dich: Sie ist
nicht hübsch, aber sie ist praktisch veranlagt und steht mit
beiden Beinen fest auf der Erde. Inzwischen kann ich das leider
nicht mehr von dir sagen. Ich meine, hübsch bist du immer
noch nicht, aber dafür zunehmend hysterisch und überspannt.«
Ihre Augen begannen zu schwimmen. »Stephane ...« Er
bekam Angst, daß sie wieder anfangen würde zu heulen.
»Mach dir bloß nicht in die Hosen. Zur Not wiederholen wir
dieses idiotische Räuber-und-Gendarm-Spiel noch an zwei
oder drei weiteren Abenden. Obwohl ich mir, weiß der Teufel,
Amüsanteres vorstellen könnte. Aber eines sage ich dir: Wenn
wir dann immer noch niemanden entdeckt haben, will ich nie
wieder etwas von dieser Sache hören. Verstanden? Nie wieder.
Sonst werde ich ungemütlicher, als selbst du es dir in deinen
verrückten Phantasien vorstellen kannst!«
9
Sie verließ das Haus, in dem sie so viele Jahre gelebt hatte,
aber als sie die Tür hinter sich zuzog, konnte sie noch immer
nicht sagen, daß es ihr letzter Besuch dort gewesen war. Zu
viele ihrer Sachen befanden sich noch immer dort, sie hatte
nicht alles verpacken und in ihr Auto laden können; sie würde
wenigstens noch einmal zurückkommen müssen.
Sie hatte lange mit Kommissar Bertin gesprochen, und
seltsamerweise hatte das Gespräch – oder sollte sie es Verhör nennen? – sie erleichtert. Zum erstenmal hatte sie einem
Menschen alles
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