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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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gebracht, daß phantastische Talente in ihr
schlummern, die sie in ihrem langweiligen Dasein für die
Familie vergeudet. Also befreite sie sich, ließ Mann und vier
Kinder zurück, zog mit der Freundin zusammen und versuchte
sich als Malerin und Sängerin. Sie hatte höchst mäßige Erfolge
zu verzeichnen, aber das machte nichts, es ging ja vor allem
darum, frei zu sein, kreativ zu sein, sich zu verwirklichen ... Na
ja, als ich neunzehn war, wurde sie in Berlin von einem
betrunkenen Autofahrer überfahren. Sie starb an ihren
Verletzungen. Aber da hatten wir schon lange keinen Kontakt
mehr gehabt.«
»Das ... das muß ganz furchtbar für Sie gewesen sein ...«
»Als sie uns verließ, hielt mein Vater noch eine Weile durch,
aber er konnte es nicht ertragen, sie verloren zu haben. Er fing
an zu trinken, verlor seine Arbeit ... ich sehe ihn noch vor mir
... wie er mittags im Wohnzimmer unserer kleinen
Sozialwohnung saß, wenn ich aus der Schule kam, verquollen
im Gesicht, unrasiert, mit roten Augen ... gerade aus dem Bett
gekrochen, und schon wieder die Schnapsflasche an den
Lippen. Er war vorher ein starker, lebensfroher Mann gewesen.
Nun verfiel er vor den Augen seiner Kinder. Er ist dann später
an Leberzirrhose gestorben.«
Sie hoffte, daß er Verständnis und Anteilnahme in ihren
Zügen las.
»Ich verstehe«, sagte sie, »ich verstehe Sie jetzt sehr gut. Sie
konnten das alles nicht verwinden.«
Er sah sie fast überrascht an. »Doch«, sagte er, »ich konnte
es verwinden. Als ich Carolin traf, als wie heirateten, als die
Kinder kamen. Aber dann ging sie weg, und alles war kaputt.
Alles.«
»Aber Sie sind doch noch nicht alt. Sie sehen sehr gut aus.
Sie haben jede Chance, daß ...«
Er sprach einfach weiter, als habe er ihren Einwurf gar nicht
gehört. »Ich begann zu begreifen, daß man diese Weiber
auslöschen muß. Sie zerstören die Welt. Vor zwei Jahren habe
ich die Frau getötet, die meine Mutter damals überredet hat,
uns zu verlassen.«
Er sagte dies so beiläufig, als habe er etwas
Selbstverständliches getan. Monique schluckte trocken.
»O Gott«, flüsterte sie.
»Es stand sogar in der Zeitung. In einer Berliner Zeitung.«
Das klang fast stolz. »Aber sie wissen bis heute nicht, wer es
war. Es war so einfach. Ich nannte meinen Namen und sie ließ
mich in ihre Wohnung. Es war noch dieselbe Wohnung, in der
sie mit meiner Mutter gelebt hatte. Die Alte war erfreut, den
Sohn ihrer verstorbenen Freundin zu sehen. Sie hatte nichts
begriffen, gar nichts. Sie kapierte es selbst dann nicht, als
schon das Seil um ihren Hals lag und ich es zusammenzog. Ich
habe es sehr langsam getan. Es hat lange gedauert. Aber nicht
so lange wie mein Leid.«
Er ist vollkommen wahnsinnig, gefangen in seinen irren
Vorstellungen.
Sie redete um ihr Leben.
»Ich kann Sie verstehen. Wirklich. Ich habe noch nie so
genau über dieses Problem nachgedacht, aber nun sehe ich es
mit anderen Augen. Frauen wie Ihre Mutter oder wie die
Freundin Ihrer Mutter haben schlimmes Unrecht auf sich
geladen. Da haben Sie völlig recht. Aber nicht alle Frauen sind
so Auch ich habe mich immer so sehr nach einer Familie
gesehnt das müssen Sie mir glauben. Aber manchmal sind es
auch die Männer, die keine tiefere Bindung wollen. Ich bin nur
an solche geraten. Sie haben mich ausgenutzt und dann wieder
abgelegt. Inzwischen habe ich fast jede Hoffnung aufgegeben.«
Da er immer noch nichts erwiderte, versuchte sie es weiter.
»Aber natürlich, irgendwo denke ich noch immer, daß da
vielleicht eines Tages jemand sein wird, der...«
Endlich sah er sie an. Seine Miene war unergründlich
»Der Prinz, der dich auf sein weißes Pferd hebt, meinst du?«
»Ich ... nun ...«, sagte sie unsicher.
Er strahlte nicht die geringste Verletzlichkeit mehr aus
sondern nur noch Kälte und Verachtung.
»Was redest du nur für eine blöde Scheiße«, sagte er, »das
sollte man ja kaum für möglich halten. Hör zu, ich sage dir
jetzt etwas: Ich weiß nicht, was du auf dem Kerbholz hast. Ob
du je eine Familie zerstört oder einen Mann zurückgewiesen
hast, der es ehrlich mit dir meinte. Deshalb lebst du noch, aber
es ist klar, daß du nicht am Leben bleiben kannst. Da verstehen
wir uns doch ? «
Sie begann zu zittern. Die Angst sprang sie wieder mit aller
Macht an. Es lief auf ihren Tod hinaus, nur darauf.
»Mir wäre es am liebsten, du krepierst hier unten.
Verhungerst, verdurstest, was auch immer. Aber wenn das
nicht schnell

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