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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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genug geht, werde ich nachhelfen. Es war einfach
idiotisch von dir, dich einzumischen. Aber ich lasse mir von dir
nichts kaputtmachen. Ich stehe dicht davor, meine Träume zu
verwirklichen. Es ist meine letzte Chance, und ich ergreife sie,
und eine blöde, fette kleine Zecke wird mir nicht
dazwischenkommen!«
Er nahm den Korb. Machte zwei Schritte in den Raum
hinein.
Und trat mit seinen bloßen Füßen in die Scherben des
Glasdeckels, der ihr zuvor hinuntergefallen war.
Zwischen den Zehen des linken Fußes schoß das Blut hervor.
Er starrte fassungslos darauf, dann stieß er ein Stöhnen aus,
ließ den Korb fallen und sank zu Boden.
Mit den Händen umklammerte er den Fuß und versuchte,
den Blutfluß zu stoppen.
»O Gott!« Seine Lippen wurden weiß. »Schau nur, das Blut!
So viel Blut!«
Sie erkannte, daß er für einige Augenblicke außer Gefecht
war. Der Anblick seines Blutes entsetzte und lähmte ihn. Sie
rappelte sich auf.
Im ersten Moment drohten die Beine unter ihr einzuknicken.
So lange hatte sie nur gesessen oder gelegen oder war auf allen
vieren gekrochen, daß ihre Muskeln alle Kraft verloren zu
haben schienen. Zudem war ihr schwindelig vor Hunger und
Angst, und Wände und Fußboden neigten sich vor ihren
Augen.
Doch dann siegte ihre Entschlossenheit, und sie stürzte aus
dem Keller hinaus, gefolgt von seinen Schreien. »Was ist los?
Verdammt, was ist los?«
Sie hatte einen großen Fehler gemacht, das begriff sie schon
nach wenigen Sekunden. Sie hätte ihn einschließen und dann
den Weg nach draußen suchen müssen. Aber daran hatte sie
nicht gedacht, sie hatte ja auch gar keine Zeit gehabt zum
Denken, hatte nur weggewollt ... und nun fand sie den Ausweg
nicht, fand die Treppe nicht, die nach oben führen mußte ...
Vor ihr erstreckte sich der Keller, der riesig sein mußte,
beleuchtet von vereinzelten Glühbirnen, die nackt von der
Decke hingen und offenbar durch einen Zentralschalter
angeknipst worden waren. Sie hörte ihn hinter sich, er hatte
offenbar aufstehen können und folgte ihr nun.
»Bleib stehen, Miststück! Bleib sofort stehen!«
Er war gehandikapt durch seine Fußverletzung, aber er
würde sie erwischen, denn sie erkannte, daß sie in die falsche
Richtung gerannt war, ans Ende des Kellers, und die Treppe
lag offenbar zur anderen Seite hin. Doch dort würde sie nicht
hingelangen, denn dazwischen war er, jetzt ganz sicher
entschlossen, sie sofort und ohne Zögern umzubringen.
Sie sah die letzte Tür vor sich, am Ende des Flurs. Außen
steckte ein Schlüssel. Mit zitternden Fingern zog sie ihn ab,
öffnete die Tür ...
Er war fast bei ihr. Er humpelte, und sie konnte kurz einen
Blick auf sein schmerzverzerrtes und vor Wut entstelltes
Gesicht werfen. Dann huschte sie in den Raum hinein, knallte
die Tür hinter sich zu, hielt mit aller Kraft dagegen, als er sie
von außen aufzureißen versuchte, kämpfte wie eine Löwin,
manövrierte irgendwie den Schlüssel ins Schloß – beinahe
hätte sie den Kampf verloren, die Tür öffnete sich bereits einen
Spalt weit –, aber noch einmal gelang es ihr, sie ganz zu sich
heranzuziehen und den Schlüssel herumzudrehen.
Er tobte draußen, während sie langsam mit dem Rücken an
der Tür entlang zu Boden rutschte. Sie dachte, sie müßte
weinen, aber sie konnte nicht. Sie zitterte und würgte.
Sie war wieder gefangen, aber nun hatte sie den Schlüssel.
Wenn er sie töten wollte, mußte er die Tür eintreten.
11
    Henri kehrte um vier Uhr am Nachmittag ins Chez Nadine zurück, und es dauerte nicht sehr lange, bis er begriff, daß
Nadine ernsthaft entschlossen war, ihn zu verlassen. Als erstes
stolperte er fast über den gepackten Koffer, den sie nicht mehr
im Auto hatte unterbringen können und der nun gleich hinter
der Eingangstür stand. Offenbar wollte sie ihn irgendwann
später abholen. Dann ging er hinauf in den ersten Stock, trat in
ihr Zimmer und tat etwas, was er noch nie vorher getan hatte:
Er öffnete alle Schränke und Schubladen und inspizierte, was
sie eingepackt und mitgenommen hatte. Und das waren
keineswegs nur die Dinge, die sie notwendig gebraucht hätte,
um ein paar Tage bei ihrer Mutter verbringen zu können, wie
etwa Wäsche, ein paar Pullis und Hosen und ihre Zahnbürste.
Nein, sie hatte nahezu sämtliche Kleidungsstücke ausgeräumt,
die Sachen für den Winter ebenso wie die für den Sommer, ihre
Badeanzüge und Baumwollkleider und ihren Skianzug, sogar
ihre zwei Abendkleider. Was

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