Die Taeuschung
Bescheid wußte, natürlich, vor mir als seiner
Sekretärin konnte er das nicht verheimlichen. Ich mußte ihm
schwören, niemandem auch nur ein Wort zu verraten. Vor
allem Ihnen nicht. Das Versprechen habe ich nun gebrochen,
aber ich denke, unter den gegebenen Umständen ist das völlig
gleichgültig.«
Laura runzelte die Stirn. Melanie wollte aufhören, für Peter
zu arbeiten, und deshalb mochte es ihr gleichgültig sein, ein
Versprechen zu brechen. Dennoch witterte sie einen
Hintersinn. »Unter den gegebenen Umständen ...«
Melanie starrte sie an. »Nun, denken Sie denn, wir sehen ihn
jemals wieder? Sie oder ich? Sie haben mir doch gerade selbst
erzählt, daß Sie ihn nicht mehr erreichen. Er ist untergetaucht,
das ist doch klar. Ich nehme nicht an, daß er sich überhaupt
noch in Europa befindet. Er wird sich nicht wieder melden.«
So also fühlte es sich an, wenn die Welt unter einem
zusammenbrach. Es geschah eigenartig lautlos, keineswegs mit
Donnergetöse, und dabei hätte sie sich einen Weltuntergang
immer sehr laut vorgestellt. Wie ein Erdbeben, bei dem alles
mit ungeheurem Krachen in sich zusammenstürzte.
Es war eher wie ein stilles Beben. Die Erde schwankte, und
überall brachen Risse auf, klafften immer weiter auseinander,
wurden zu mörderischen Abgründen. So stumm, so völlig ohne
jedes Geräusch, als säße sie vor dem Fernseher und schaute
sich einen Katastrophenfilm an. Mit abgedrehtem Ton, um die
Bilder erträglicher zu machen. Es wäre sonst zu laut. Zu laut,
um es auch nur einen Moment lang aushalten zu können.
»Sie sollten sich vielleicht hinsetzen«, sagte Melanie wie aus
weiter Ferne. »Sie sehen aus, als würden Sie jeden Moment
umkippen.«
Auch ihre eigene Stimme konnte sie nur gedämpft hören.
»Das würde er nicht tun. Das würde er mir nicht antun. Und
schon gar nicht seiner Tochter. Wir haben ein zweijähriges
Kind! Selbst wenn er mich im Stich ließe, dann doch niemals
Sophie. Niemals!«
»Vielleicht war er nicht der, den Sie in ihm gesehen haben«,
sagte Melanie. Und plötzlich dachte Laura: Sie genießt es. Sie
genießt es, mir die Wahrheit zu präsentieren. Frustrierte,
alternde Ziege!
Ihr Entsetzen suchte sich ein Ventil. »Es muß nicht jeder
Frau so ergehen wie Ihnen, Melanie«, sagte sie haßerfüllt, »daß
sich der Mann bei Nacht und Nebel aus dem Staub macht.
Manche sind da weitaus beständiger. Wahrscheinlich bemüht
Peter sich, die Dinge in Ordnung zu bringen, und kehrt dann
zurück. Wir haben immer eine gute Ehe geführt, müssen Sie
wissen.«
Melanie lächelte mitleidig. »Deshalb waren Sie auch so gut
informiert über diese Katastrophe in seinem Leben, nicht
wahr? Es kann sein, daß man Sie morgen auf die Straße setzt
und daß Sie da stehen mit Ihrem Kind und nicht wissen, wohin.
Ich bin nicht sicher, ob ich von einer guten Ehe sprechen
würde, wenn ein Mann mir so etwas antut.«
»Ihr Mann ...«
»Mein Mann hat mich betrogen und verlassen. Er war ein
Scheißkerl. Da habe ich nie etwas beschönigt.«
Wut ballte sich in Laura zu einem Klumpen. Wut – nicht
länger auf diese blasse Frau vor ihr, die keine Schuld traf an
den Geschehnissen. Sondern Wut auf Peter, der den Untergang
ihrer beider Existenz vor ihr geheimgehalten hatte. Der sie in
die Lage gebracht hatte, hier in seinem Büro an einem
verregneten Oktobersonntag zu stehen und zu erfahren, daß sie
seit langem schon mit einer Lüge lebte und daß eine Rettung
vielleicht nicht mehr möglich war. Dafür also hatten sie
geheiratet. Um die guten Zeiten zu teilen und in den schlechten
auseinanderzubrechen.
Sie würde nicht ohnmächtig werden, auch wenn Melanie
dies geglaubt hatte. Energie flutete in sie zurück.
»Und wenn ich bis morgen früh in diesem Büro bleibe«,
sagte sie, »ich gehe jeden Papierschnipsel hier noch einmal
durch. Ich will alles wissen. Ich will ganz genau die Ausmaße
des Infernos kennen, das jetzt offenbar über mich hereinbricht.
Würden Sie mir helfen? Das Büro ist Ihr System. Sie kennen
sich aus.«
Melanie zögerte kurz, nickte dann aber. »In Ordnung. Auf
mich wartet ja niemand. Es spielt keine Rolle, wie und womit
ich den Sonntag verbringe.«
»Gut. Danke. Ich muß telefonieren. Entweder meine Mutter
oder meine Freundin muß Sophie übernehmen. Ich werde sie
dann dort abliefern und wieder hierherkommen. Warten Sie auf
mich?«
»Natürlich«, sagte Melanie, setzte sich auf den Stuhl hinter
Peters Schreibtisch und fing an zu
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