Die Taeuschung
Stück außerhalb von St. Cyr! Er käme
nie auf die Idee, von hier aus zu Fuß loszugehen!«
Henri zuckte die Schultern. »Sein Auto steht aber da.«
»Dann müßte er auch hier irgendwo sein!« Henri zuckte erneut
mit den Schultern. »Hier ist er nicht.« »Vielleicht in dem Hotel
am Anfang der Straße?« Es gab gleich zu Beginn des Weges,
an dem das Chez Nadine lag, ein Hotel, das vor einem
weitläufigen Park lag. Doch Henri schüttelte den Kopf. »Die
haben seit dem 1. Oktober geschlossen. Dort kann er nicht
untergekommen sein.« Er wischte wieder hektisch an seiner
Schürze herum. »Hör zu, Laura, es tut mir leid, aber ich muß
wieder in die Küche. Es ist kurz nach zehn, und ab zwölf Uhr
ist der Teufel los. Ich muß jede Menge vorbereiten. Ich bin
ganz allein, und ich kann nur hoffen, daß Nadine um elf zurück
ist.«
Laura hatte den Eindruck, daß ihn die Frage nach Peters
Schicksal ziemlich kaltließ, und sie spürte, wie sehr sie das
ärgerte. Sie und Peter waren langjährige Gäste und Freunde.
Sie fand, daß Henri ein wenig mehr Engagement hätte zeigen
können.
»Gibt es noch irgend etwas, woran du dich erinnern kannst?«
fragte sie. »Etwas, das dir auffiel an Peter. Etwas Eigenartiges
oder Besonderes?«
»Nein, eigentlich nicht.« Henri zögerte. »Höchstens ...«
»Ja?«
»Er hatte eine Aktentasche bei sich. Das ist mir aufgefallen.
Ich fand es merkwürdig, daß er eine Aktentasche mit ins
Restaurant schleppte. Andererseits ... vielleicht hatte das
überhaupt nichts zu bedeuten. Oder es waren irgendwelche
Papiere drin, die er nicht im Auto lassen mochte.«
»Eine Aktentasche ...«
»Laura, ich muß wirklich ...«
Sie sah ihn kühl an. »Ich schaue mal nach dem Auto«, sagte
sie kurz, drehte sich um und ließ ihn mitsamt seiner kreischend
bunten Schürze und seinen nervösen Händen einfach stehen.
Der Wagen war abgeschlossen und vermittelte den Eindruck,
sein Besitzer werde jeden Moment zurückkommen. Auf dem
Beifahrersitz sah Laura einen Aktenordner liegen, im Fußraum
darunter stand die rote Thermoskanne, die sie ihm am Morgen
seiner Abfahrt noch mit Tee gefüllt hatte.
Auf dem Rücksitz befanden sich seine Regenjacke und zwei
Taschen, unterhalb davon seine Sportschuhe. Ausrüstung besser: Teile der Ausrüstung – für den geplanten Segeltörn.
Den durchzuführen er nie vorgehabt hatte. Der nur Teil des
Versteckspiels gewesen war.
Ich muß noch einmal mit Christopher sprechen, dachte sie,
er muß sich doch gewundert haben, daß Peter ihn nicht wie
sonst anrief, um sich für den Herbst zu verabreden. Oder hat es
doch irgendein Gespräch zwischen den beiden gegeben? Hat er
Christopher erklärt, weshalb in diesem Jahr nichts aus ihrer
traditionellen Verabredung wird?
Christopher war am Sonntagmorgen zu verkatert gewesen,
um sich an irgend etwas zu erinnern oder eine klare Auskunft
geben zu können. Sie würde es später noch einmal versuchen,
vielleicht erwischte sie ihn in einem besseren Zustand. Sie
wußte, daß er manchmal ein wenig zuviel trank, seitdem ihm
seine Familie davongelaufen war, aber er war kein
Alkoholiker. Er suchte nur hin und wieder das Vergessen.
Das geparkte Auto, das vermutlich seit Samstagabend nicht
mehr von der Stelle bewegt worden war, irritierte sie tief.
Wenn sich Peter nicht mehr in unmittelbarer Nähe aufhielt –
und alles deutete darauf hin –, dann mußte er auf irgendeine
Weise von hier fortgekommen sein. Warum hätte er den Bus
nehmen sollen? Fuhr hier überhaupt einer, und wenn ja, wann
und wo? Wenn sie das nicht wußte, wußte Peter es auch nicht;
öffentliche Verkehrsmittel benutzte er praktisch nie. Ein Taxi?
Aber warum, warum, warum?
Es blieb noch eine Möglichkeit, und sich mit dieser
auseinanderzusetzen machte ihr angst. Die Möglichkeit
bedeutete, daß jemand mit einem Auto gekommen war und ihn
mitgenommen hatte. Und dies wiederum hätte auf eine Frau
hinweisen können – auf jene Person, mit der er das
Wochenende in Perouges und wahrscheinlich etliche andere
irgendwo verbracht hatte.
Dann wäre das Chez Nadine ein Treffpunkt gewesen, auf der
Straße davor hatte er sich abholen lassen ... Henri und Nadine
hatten nichts mitbekommen dürfen, deshalb war die Geliebte
nicht ins Lokal gegangen ...
Sie wollte nicht weiterdenken. Diese Vermutungen
schmerzten zu sehr. Es mußte eine andere Erklärung geben.
Zunächst würde sie Henri bitten, daß er ihr half, das Auto
aufzubrechen. Sie mußte im Kofferraum
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