Die Taeuschung
herausfinden.«
»Wieso?« fragte Laura und hatte dabei den Eindruck, daß sie
Anne enorm nervte mit ihrer Begriffsstutzigkeit. Das
Räderwerk in ihrem Kopf drehte langsamer als sonst. Sie
vermutete, daß sie stärker unter Schock stand, als ihr im
Augenblick bewußt war.
»Er hat dir einen verdammten Haufen Scheiße hinterlassen«,
sagte Anne. »Du wirst Geld brauchen – und er hat vermutlich
eine Lebensversicherung. Wenn ihm etwas zugestoßen ist,
dann muß das festgestellt werden. Anders kommst du nicht an
das Geld. Denk an deine Zukunft und an die deines Kindes.
Finde deinen Mann, und wenn möglich, finde ihn tot!«
Mittwoch, 10. Oktober
1
Sie waren seit dem frühen Morgen völlig zerstritten.
Carla wußte gar nicht mehr genau, was der Anlaß gewesen
war. Vielleicht das schlechte Wetter. Sie war in dem viel zu
weichen, durchgelegenen Hotelbett erwacht und hatte von
draußen, jenseits der geschlossenen Fensterläden, das
gleichmäßige Rauschen und Pladdern gehört, das sie auch am
Sonntag schon vernommen hatte und das ihr verriet, daß dieser
Tag gräßlich werden würde. Sie sah im Dämmerlicht Rudi an,
der neben ihr lag und leise schnarchte. Plötzlich wurde sie
wütend auf ihn. Er hatte sich die Hochzeitsreise in die
Provence gewünscht, während Carla viel lieber in einen
Ferienclub in Tunesien gefahren wäre. Sie hatte nachgegeben,
weil die Angelegenheit in einer Auseinandersetzung zu enden
drohte, und es wäre ihr als ein schlechtes Omen erschienen,
ihre Ehe mit einem Streit zu beginnen.
Beim Frühstück hatte Rudi erklärt, das Wetter werde sich
bessern, das habe er dem Radio entnommen, doch sein
Französisch war, wie Carla hier herausfand, mehr als schlecht,
und mit seinen Übersetzungen lag er ständig daneben.
Deswegen konnte er alles Mögliche über das Wetter gehört und
es falsch interpretiert haben.
»Ich glaube, es wird jetzt nur noch entweder regnen oder kalt
und bewölkt sein«, prophezeite sie düster, und Rudi wurde
wütend und meinte, er habe ihr ewiges Genörgel satt.
»Ich wollte ja nicht hierher«, murmelte Carla, um dann die
Frage zu stellen, mit der sie Rudi am Ende eines jeden
Frühstücks in Schwierigkeiten brachte: »Was machen wir
heute?«
»Wir könnten in die Berge fahren«, schlug er vor, und Carla
blickte in die graue Nässe hinaus und meinte, dies würde sie
ungefähr so reizen wie eine Blinddarmoperation, und am
liebsten würde sie den ganzen Tag im Bett bleiben, wenn nicht
die Betten so alt und schlecht wären, daß ihr jede Stunde darin
heftige Kreuzschmerzen einbrachte.
Nun reichte es Rudi endgültig, und er schnauzte sie an, sie
könne machen, was sie wolle, er werde in die Berge fahren,
und wenn sie nicht mitkomme, sei ihm das nur recht. Natürlich
kam sie schließlich mit, aber sie sprachen fast kein Wort
miteinander und starrten jeder verbissen in eine andere
Richtung.
Sie fuhren die Route des Cretes hinauf, eine sehr steile,
gewundene Straße, die sich entlang der Felsen gleich über dem
Meer hinauf in die Berge schraubte. Je weiter sie kamen, desto
felsiger wurde die Landschaft um sie herum, desto karger die
Vegetation; nur flaches Nadelgehölz kroch noch über den
steinigen Boden. Nebelschwaden trieben über die Straße.
Carla zog schaudernd die Schultern hoch. »Hier oben würde
man nicht glauben, daß man am Mittelmeer ist«, meinte sie,
»es ist ja so schrecklich ungemütlich!«
»Fängst du schon wieder mit dem Gejammer an? Ich habe
gesagt, du brauchst nicht mitzufahren, aber du mußtest ja ...«
»Entschuldige, aber ich werde doch noch einen Kommentar
abgeben dürfen! Oder ist es mir für den Rest dieses herrlichen
Urlaubs verboten, den Mund aufzumachen?«
Rudi erwiderte darauf nichts, sondern achtete nur
konzentriert auf die Umgebung. Plötzlich bog er auf einen
großen, sandigen Parkplatz und brachte den Wagen zum
Stehen.
»Hier müßte es sein«, murmelte er und stieg aus.
Carla wartete einen Moment, aber da Rudi keine Anstalten
machte, sie zum Mitkommen aufzufordern, stieg sie schließlich
von selbst aus und ging hinter ihm her. Sie war inzwischen den
Tränen nahe, wollte ihm aber nicht den Triumph gönnen, sie
weinen zu sehen.
Blöder Arsch, dachte sie.
Die Felsen fielen steil zum Meer hinab. Rechts unterhalb von
ihnen lag Cassis mit seinen terrassenförmig zur Bucht
erstreckenden Weingärten. In der Ferne konnte man die zwei
Inseln erkennen, die der Bucht von Marseille vorgelagert sind.
Weitere Kostenlose Bücher