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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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konfrontiert worden war: Sophie war kurz zuvor geboren
worden, sie machten den ersten Provence-Urlaub zu dritt, und
es ging Laura auf, daß sie nun auf absehbare Zeit keine Chance
haben würde, irgendeiner Arbeit nachzugehen, denn Peter, der
sie zuvor schon aus der Agentur herausgedrängt hatte,
argumentierte nun ständig mit dem Baby und ließ keinen
Zweifel daran, daß er sie für eine schlechte Mutter hielte, wenn
sie nicht alle Zeit und Kraft dem Kind widmete. Einmal sprach
sie mit Nadine darüber und fügte hinzu: »Du hast es gut. Du
hast eine Aufgabe, die dich befriedigt. Du hilfst deinem Mann,
ihr habt eine gemeinsame Leidenschaft, die euch ...«
    Nadine war ihr ins Wort gefallen, mit einer Heftigkeit, wie
sie Laura nie vorher an ihr erlebt hatte. »Leidenschaft!
Befriedigung! Gott, wie kannst du nur so blauäugig sein!
Glaubst du im Ernst, ich habe mir je ein solches Leben
erträumt? In einer verdammten Pizzabude zu stehen, tagaus,
tagein, schwachsinnige Touristen zu bedienen, einen Mann
neben mir, der Erfüllung findet in der brennend wichtigen
Frage, ob sich Mozzarella für den Pizzabelag besser eignet als
irgendein anderer verfluchter Käse? Glaubst du wirklich, das
ist das Leben, das ich führen will?«
    Laura wußte heute nicht mehr, was sie darauf geantwortet
hatte. Vermutlich war sie zu überrascht gewesen, um etwas
wirklich Vernünftiges zu sagen.
    An diesem Mittag drängte die Szene nachdrücklich in ihr
Gedächtnis.
Wie verzweifelt sie ist, dachte sie.
Sie aß eine Pizza, die Henri, der ebenfalls bleich und
unglücklich aussah, nicht bezahlt haben wollte, und die sie, da
sie ja nun ein Geschenk war, bis zum bitteren Ende
hinunterwürgte, obwohl sie nach zwei Bissen bereits wieder
der Appetit verließ. Sie war am Morgen auf der Waage
gewesen und hatte festgestellt, daß sie schon fünf Pfund
abgenommen hatte. In der Zeit mit Sophie daheim, gelangweilt
und unausgefüllt, hatte sie zugelegt gehabt. Diese ganze
Geschichte, dachte sie, wird mir wenigstens mein Idealgewicht
zurückbringen.
Sie erklärte Henri und Nadine, daß sie sehr beunruhigt sei
wegen des Autos, das Peter mitsamt all seinen Habseligkeiten
zurückgelassen hatte. Sie ließ die Flugtickets unerwähnt,
ebenso wenig berichtete sie von seiner finanziellen Pleite und
dem Vorhandensein einer festen Geliebten.
»Ich denke, ihm könnte etwas zugestoßen sein«, schloß sie,
»und eine Freundin brachte mich auf den Gedanken, mich
unter den Gästen umzuhören, die Samstag abend da waren.
Vielleicht hat ja jemand etwas bemerkt.«
»Ich war nicht da am Samstag«, sagte Nadine.
»Wie üblich«, sagte Henri.
»Ich hatte dir vorher gesagt...«, fuhr Nadine auf. Laura, die
befürchtete, daß die Situation in einen handfesten Krach
eskalieren würde, mischte sich rasch ein.
»Du warst doch da, Henri. Kanntest du einen der Gäste?
Namentlich, meine ich. Oder sogar mit Adresse und
Telefonnummer?«
»O Gott«, sagte Henri, »ich fürchte fast, nein. Du weißt, es
sind hauptsächlich Touristen, die herkommen. Selbst wenn
man sie ein paar Mal hier sieht, erfährt man nicht, woher sie
kommen oder wie sie heißen.«
»Du warst doch sicher nicht allein. Wer hat dir denn
geholfen an dem Abend?«
»Niemand. Ich war wirklich ganz allein.«
»Ach«, warf Nadine ein, »wo war denn die treue
Cathérine?«
Er ignorierte ihre Frage und sagte: »Ich werde nachdenken,
ob mir der Name eines Gastes einfällt.«
Aber Laura hatte nicht den Eindruck, daß er sich nachhaltig
engagieren würde. Niemand schien zu glauben, daß etwas
Ernstes passiert sein könnte. Vermutlich nahmen sie an, daß
Peter sich irgendwo mit einem Mädchen amüsierte und daß
seine Frau darauf hysterisch reagierte.
Ihr habt ja alle keine Ahnung, dachte sie erschöpft.
Sie verließ das Chez Nadine, nachdem sie noch einmal die
Bitte geäußert hatte, Henri möge sie anrufen, wenn ihm ein
Name einfiele. Als sie wegfuhr, kam sie wieder an Peters Auto
vorbei. Ihre Depression verschärfte sich sofort, ihre Müdigkeit
nahm zu. Sie spürte Sehnsucht nach ihrem Kind.
Ich sollte heimfahren und das alles hier sich selbst
überlassen, dachte sie.
Eigentlich hatte sie sofort ins Ferienhaus fahren und sich
hinlegen wollen, aber plötzlich merkte sie, daß sie jetzt nicht
allein sein konnte. Sie fuhr nach St. Cyr, hinunter an den Hafen
von Les Lecques, und setzte sich in ein Cafe. Der Regen schien
ein wenig nachzulassen, und sie hatte den Eindruck, daß es

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