Die Taeuschung
den Mann ... den toten Mann
ansiehst. Denn es besteht die Möglichkeit, daß ... nun, es
könnte Peter sein.«
2
Es bereitete ihm unbestreitbar ein gewisses sadistisches
Vergnügen, ihr Gesicht zu beobachten. Aus dem fröhlichen,
koketten Mädchen, das er vor mehr als ein Dutzend Jahre
zuvor kennengelernt hatte, war eine kühle, überaus
kontrollierte Frau geworden, und er konnte sich nicht erinnern,
wann ihr zuletzt die Gesichtszüge entglitten waren.
Sie wurde im ersten Moment totenbleich, aber schon in der
nächsten Sekunde schoß ihr das Blut in den Kopf und tauchte
ihr Gesicht in häßliches Rot. Sie leckte sich mit der Zunge über
die Lippen und schluckte trocken. In ihren Augen war ein
hysterisches Flackern. Er konnte es sehen in dem kurzen
Moment, als sie ihn anschaute, fast hilfesuchend und flehend,
ehe sie ihren Blick wieder auf die Zeitung senkte und sich
vergeblich mühte, ihre Fassung wiederzuerlangen.
Henri war wie immer früher aufgestanden als sie und hatte in
der Küche im Stehen seinen Kaffee getrunken, dabei in der
Zeitung geblättert. Aus dem Lokalteil hatte ihn das Photo von
Peter angesprungen, ein Paßbild offensichtlich, der Haltung
und dem verkrampften Lächeln nach zu schließen. Peter sah
darauf deutlich jünger aus, als er heute war, aber es war
dennoch unverkennbar Peter.
Grausamer Mord in den Bergen prangte als Schlagzeile über
dem Bild, und aus einem kurzen Text darunter war zu erfahren,
daß man einen Mann, der einen Paß auf den Namen Peter
Simon bei sich führte, ermordet in den Bergen aufgefunden
habe. Die Polizei bitte um Hinweise aus der Bevölkerung –
wem sei Peter Simon aus Deutschland bekannt, wer habe ihn
wann und wo in den letzten Tagen gesehen?
Langsam hatte Henri seinen Kaffee geschlürft und das Bild
betrachtet, dann hatte er das Tappen von Nadines nackten
Füßen auf der Treppe gehört und die Zeitung mit dem Bild
nach oben auf den Tisch gelegt.
Nadine war im Morgenmantel in die Küche gekommen, sie
sah verheerend schlecht aus, seltsam gelblich im Gesicht, und
ihre strähnigen Haare lagen nicht wie sonst zerzaust, sondern
häßlich angeklatscht an ihrem Kopf. Sie hatte ihn keines
Blickes gewürdigt, sondern sich ihren Becher aus dem Regal
genommen, Kaffee eingeschenkt und war dann zum Tisch
gegangen. Zuerst glitt ihr Blick nur flüchtig über die Zeitung –
er beobachtete es genau aus den Augenwinkeln –, dann stutzte
sie und sah noch einmal genauer hin. Sie konnte das völlige
Entgleisen ihrer Gesichtszüge nicht verhindern, und dabei hatte
sie, wie er vermutete, noch nicht einmal erfaßt, worum es ging.
Peters Photo in der Zeitung reichte zunächst schon aus, sie aus
der Fassung zu bringen.
Sie ließ sich auf den Stuhl fallen – wahrscheinlich waren ihr
die Knie weich geworden – und starrte auf das Bild; schließlich
hielt Henri es nicht länger aus, trat ebenfalls an den Tisch und
setzte sich ihr gegenüber.
»Er ist tot«, sagte er.
»Ja«, erwiderte Nadine leise.
Die Röte wich aus ihrem Gesicht und ließ eine fahle Blässe
zurück. Selbst ihre Lippen wurden grau und
eigentümlicherweise plötzlich schmaler.
»Ich werde mich bei der Polizei melden müssen«, fuhr Henri
fort, »und sagen, daß er am Samstag noch hier gegessen hat.
Und daß sein Auto draußen steht.«
Nadine fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er
sah, daß ein Schweißfilm ihre Haut bedeckte.
Es geht ihr verdammt dreckig, dachte er.
»Gott«, sagte sie. Es klang wie ein kaum hörbarer, aber
zutiefst verzweifelter Hilferuf.
»Wo warst du eigentlich am Samstagabend?« fragte Henri.
»Was?«
»Wo warst du? Samstagabend?«
»Bei meiner Mutter. Das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Ich nehme an«, sagte Henri, »daß du das auch der Polizei
wirst sagen müssen.«
»Der Polizei?«
»Ich sagte doch, ich muß melden, daß er hier war. Da sein
Auto noch draußen steht, wird die Polizei – genau wie Laura –
vermuten, daß ihm auf dem Weg vom Chez Nadine zum
Parkplatz etwas zugestoßen ist. Man wird sich in diesem
Zusammenhang auch für uns zu interessieren beginnen. Sie
werden wissen wollen, was du am Samstag gemacht hast, und
sie werden deine Aussage überprüfen.«
»Wir müssen uns doch überhaupt nicht melden.«
»Sein Auto parkt in unmittelbarer Nähe unseres Hauses. Und
spätestens Laura wird auf jeden Fall aussagen, daß er hier war,
und dann sieht es eigenartig aus, wenn wir uns nicht gemeldet
haben. Also sollten
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