Die Taeuschung
Nadine nichts gesagt. »Und Henri
wußte es auch. Er hat unmenschlich gelitten. Da läuft etwas,
Cathérine, hat er immer wieder zu mir gesagt, ich kann es nicht
beweisen, ich kann nicht einmal genau sagen, woran ich es
merke, aber es gibt einen anderen Mann in ihrem Leben. Sie
hat ein Verhältnis, Cathérine. Meine Frau hat ein Verhältnis!«
In Cathérines kalte Augen war ein warmer Schimmer
getreten, als sie von Henri sprach. Es war jenes Leuchten, mit
dem sie ihn ansah, wenn er den Raum betrat, wenn er das Wort
an sie richtete. Noch nie hatte Nadine über das besondere
Verhältnis zwischen ihrem Mann und seiner Cousine anders
gedacht als in Bewertungen wie: Sie schmachtet eben hinter
ihm her. Sie ist häßlich wie die Nacht, und sie wußte schon als
junges Mädchen, daß sie nie einen Kerl abbekommen würde.
Da hat sie sich frühzeitig auf Henri festgelegt und gedacht,
wenn sie ihn lange genug bequatscht, wird er schon weich
werden.
In diesem Augenblick erstmals begriff sie, daß es echte
Liebe war, was Cathérine für Henri empfand. Er war nicht bloß
ihre Notlösung, weil sich sonst niemand nach ihr umschaute.
Er war die große, einzige und wahre Liebe ihres Lebens; er war
es immer gewesen und würde es immer sein. Eine Liebe voller
Tragik, weil sie sich nie erfüllen konnte. Aber sie war groß
genug, daß Cathérine aufrichtiges Mitleid für diesen Mann
hatte empfinden können, als er sich wegen der Untreue ihrer
verhaßten Rivalin quälte.
Jede andere hätte triumphiert, dachte Nadine, aber ihr haben
seine Schmerzen wirklich weh getan.
»Mir war klar, daß es stimmte«, sagte Cathérine, »ich wußte
von Anfang an, daß du Henri nicht liebst. Er paßte einfach
gerade gut in deine Lebensplanung, deshalb hast du ihn dir
geschnappt. Als es dann nicht so lief, wie du es dir gedacht
hattest, mußtest du natürlich Ausschau nach der nächsten Beute
halten.«
»Woher wußtest du, daß es Peter war? Seinen Namen habe
ich in dem Brief nicht erwähnt.«
»Nein, aber du schriebst, daß du mit einem Deutschen
weggehst. Sowohl Henri als auch ich wußten niemanden sonst,
der in Frage kommen könnte. Henri war doppelt getroffen; er
hatte Peter für einen Freund gehalten. Für ihn brach in einer
Sekunde nahezu alles zusammen, woran er jemals geglaubt
hat.«
»Du hast diesen Brief also gefunden«, sagte Nadine langsam,
»nachdem du auf ekelhafte Weise in meinen Sachen gestöbert
hast. Du hast ihn gelesen und bist sofort damit zu Henri
gelaufen. Merkwürdig, findest du nicht? Ich meine, weshalb
mußtest du mich anschwärzen? Du hättest die Dinge doch
einfach laufen lassen können. Einen Tag später wäre ich weg
gewesen. Auf Nimmerwiedersehen, wie du wußtest. Endlich
wäre der Weg für dich frei gewesen. Nach einer Reihe von
Jahren hätte Henri unsere Ehe annullieren lassen können. Und
du wärst endlich mit ihm zum Standesamt gegangen.«
Cathérine lächelte. Nun war nichts Sanftes mehr in ihren
Augen, nur noch Bitterkeit und Frustration.
»Du weißt ganz genau, daß es so nicht gekommen wäre. Er
hätte mich niemals geheiratet, in seinem ganzen Leben nicht.
Aber vielleicht hätten wir in einer Art Partnerschaft
miteinander gelebt. Das Chez Nadine – wenn es noch so
geheißen hätte – wäre unser Kind gewesen, wir hätten es
gehegt und gepflegt und uns ungeheuer dafür engagiert. Es
hätte nie eine erotische Verbindung zwischen uns gegeben,
denke nicht, ich sei so vermessen, dies zu glauben, aber auf
eine befriedigende und intensive Weise hätten wir unser Leben
sinnvoll geführt. Wir hätten einander nie enttäuscht, und keiner
von uns wäre jemals wieder einsam gewesen.«
»Aber dann ...«
»Ich wußte, wenn du einfach verschwindest, würde er nie
aufhören, nach dir zu suchen. Er würde nie abschließen. Er
würde sein Leben vergeuden in der Hoffnung, dich
zurückzubekommen, und er würde nie seinen Frieden finden.
Meine einzige Chance war, ihm wirklich und ohne Gnade die
Augen über dich zu öffnen, und wenn ich sage ohne Gnade, dann meine ich das nicht melodramatisch, sondern sehr ernst.
Es war einer meiner schlimmsten Momente überhaupt, als ich
ihm den Brief zeigte. Obwohl er wußte, daß er dich eigentlich
längst verloren hatte, ist er zutiefst erschrocken. Nie habe ich
einen entsetzteren, getroffeneren Menschen gesehen. Mein
Gott, Nadine, er hat dich geliebt. Er hat dich so sehr geliebt,
und irgendwann in deinem Leben wirst du begreifen, was du
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