Die Taeuschung
weggeworfen und zerstört hast, und du wirst es voller Schmerz
vermissen. Vielleicht merkst du es auch jetzt schon?« Sie
betrachtete die andere kritisch, schien zufrieden mit dem, was
sie sah. »Du wirst sicher finden, daß es mir absolut nicht
zusteht, mich abwertend über das Aussehen anderer Frauen zu
äußern, aber um dir den Wind aus den Segeln zu nehmen, kann
ich dir ja sagen, daß du eine sehr schöne Frau bist. Das mußte
ich dir von der ersten Minute an zugestehen, und ich würde
dies auch heute tun. Aber du siehst entsetzlich schlecht aus,
Nadine. Da ist nicht mehr viel von der Frau, die du einmal
warst. Man sieht dir viele durchweinte Stunden an, und solche,
in denen du verzagt warst. Man sieht dir die – wahrscheinlich
jahrelange? – Angst an, Peter könnte sich am Ende doch für
seine Frau entscheiden und nicht für dich. Deine Züge sind
heute verhärmt und verkrampft. In deiner Ausstrahlung lag
früher eine beneidenswerte Selbstsicherheit, ein
herausforderndes Lächeln, das du an die ganze Welt zu richten
schienst. Das ist verschwunden, vollkommen verschwunden.
Und das Schlimme ist – du hast es geopfert für nichts! Denn du
stehst mit leeren Händen da. Dein Geliebter liegt mausetot im
pathologischen Institut in Toulon, und dir bleibt nur Henri,
dessen Liebe du nun nie zurückgewinnen wirst. Du bist noch
nicht einmal Mitte dreißig und siehst an Tagen wie heute aus,
als seist du schon ein Stück über vierzig. Du hast nichts mehr.
Gar nichts.«
Jedes ihrer Worte traf Nadine wie ein Keulenschlag, und sie
merkte, daß sie den Rückzug antreten mußte, wollte sie nicht
irgendwann in Tränen ausbrechen. Sie hatte sich übernommen
mit diesem Besuch. Sie wünschte, sie wäre nicht nach La
Ciotat gefahren.
»Weißt du, Cathérine«, sagte sie, während sie sich bereits
der Wohnzimmertür näherte, »du solltest dir dein Mitleid
vielleicht besser für dich selbst aufsparen. Ich habe sicher eine
Menge verloren, aber auch für dich ist alles schiefgelaufen.
Denn dadurch, daß mein Geliebter mausetot ist, bin ich nun
nicht in Buenos Aires, sondern hier, und das mag tragisch für
mich sein, aber zweifellos auch für dich. Aus eurem
gemeinsamen Hätscheln des Chez Nadine wird nun nichts.
Keine Partnerschaft, kein geteiltes Alter. Du wirst auf ewig in
diesem Loch hier sitzen und dir die Augen nach Henri
ausweinen, und du wirst so einsam sterben, wie du gelebt hast.
Hättest du nur nichts gesagt, Cathérine! Es wäre so unendlich
viel klüger gewesen.«
»Das hätte nichts daran geändert, daß deine Pläne von einem
Mörder zerstört wurden«, entgegnete Cathérine und kniff
gleich darauf die Augen zusammen. »Oder was meintest du
eben?«
»Ich kenne einen Menschen, der einen verdammt guten
Grund gehabt hätte, Peter aus dem Weg zu räumen«, sagte
Nadine, »nachdem er erfahren hat, daß er der Mann war, mit
dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte.«
Cathérine stutzte, ihre Miene zeigte ungläubige
Verwunderung, und dann fing sie an zu lachen, schrill und
hysterisch und so, daß es fast auch ein Weinen hätte sein
können. »Du glaubst allen Ernstes, Henri könnte Peter getötet
haben?« rief sie. »Was bist du nur für eine Frau, Nadine! So
viele Jahre, und du hast keine Ahnung, wer der Mann ist, mit
dem du lebst. Keine Ahnung! Zu glauben, daß Henri ...«
Sie krümmte sich nach vorn wie in einem Krampf, und nun
war es klar, daß sie nicht mehr lachte, sondern weinte. »Henri
ein Mörder! Henri ein Mörder!« schrie sie immer wieder, und
Nadine hörte ihr Gebrüll noch auf der Straße, nachdem sie die
Wohnung bereits fluchtartig verlassen hatte und zu ihrem Auto
rannte und wußte, daß sie nie wieder hierherkommen würde.
2
An diesem Samstagmorgen führte Laura endlich das längst
überfällige Telefongespräch mit ihrer Mutter, und das auch nur,
weil sie unbedingt wissen wollte, wie es Sophie ging. Natürlich
war Elisabeth gekränkt und verärgert, weil sie sich nicht früher
gemeldet hatte.
»Ich habe unablässig versucht, dich zu erreichen. Wieso bist
du nicht ans Telefon gegangen?«
»Ich hatte eine Art Zusammenbruch während der letzten
beiden Tage. Vielleicht so etwas wie einen Schock. Ich habe
nur im Bett gelegen, ich konnte mit niemandem sprechen. Wie
geht es Sophie?«
»Gut. Möchtest du sie sprechen?«
»Bitte. Unbedingt.«
Elisabeth holte Sophie ans Telefon, und Laura fühlte sich
gleich ein wenig besser, als sie das
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