Die Taeuschung
fröhliche Gebrabbel und
quietschende Lachen ihrer Tochter hörte. Sie unterhielt sich
eine Weile mit ihr in einer Kindersprache, die nur sie beide
verstanden, und versicherte ihr, sie werde bald wieder bei ihr
sein.
Aber danach kam natürlich Elisabeth noch einmal an den
Apparat, und sie stellte gleich die entscheidende Frage.
»Du hast ihn identifiziert? Der Tote ... war Peter?«
»Ja.«
»Du hättest mir das gleich sagen müssen. Ich bin hier fast
verrückt geworden vor Sorge.«
»Ich weiß. Es tut mir leid.«
»In was für einer Welt leben wir eigentlich?« fragte
Elisabeth aufgebracht. Laura wußte genau, daß es ihre Mutter
dem Schicksal persönlich sehr übel nahm, sie in eine so
peinliche Situation gebracht zu haben. Ihre Tochter war
betrogen worden, und als ob dies allein nicht schon schlimm
genug wäre, hatte der unnütze Schwiegersohn zudem eine
gigantische Pleite hingelegt und sich dann ins Ausland
abgesetzt. Als Krönung des Ganzen war er nun auch noch
ermordet worden. Als hoffnungslose Egozentrikerin fragte sich
Elisabeth vor allem, weshalb dies ausgerechnet ihr hatte
zustoßen müssen. »Ich meine, das ist doch alles nicht normal!
Weiß man denn, wer der Täter war?«
»Nein. So schnell noch nicht.«
»Ich bin sicher, es gibt da einen Zusammenhang mit dem
Flittchen, das er sich ja offenbar seit einiger Zeit geleistet hat.
Hast du herausgefunden, wer sie ist?«
Laura wollte dies nicht mit ihrer Mutter besprechen.
Eigentlich wollte sie überhaupt nicht mit ihr reden. »Nein. Ich
...«
»Aber du hast hoffentlich der Polizei erzählt, daß es da eine
Frau gab? Es ist nicht angenehm, eine solche Demütigung
durch den eigenen Mann offenzulegen, aber die müssen das
wissen. Hörst du?«
»Natürlich, Mutter.« Jetzt nur keine Debatte. Das kurze
Gespräch hatte Laura ohnehin schon völlig erschöpft. »Ich
mache das schon alles richtig, das kannst du mir glauben. Es ist
nur ... es geht mir nicht so gut ...«
»Ich habe Peter ja nie wirklich gemocht. Aber mit dir war
damals nicht zu reden.«
Es ist hoffnungslos, dachte Laura, es ist einfach
hoffnungslos, Trost oder Mitgefühl von ihr zu erwarten.
Wahrscheinlich empfindet sie durchaus so etwas wie
Anteilnahme. Aber sie kann sie einfach nicht ausdrücken.
»Mutter«, sagte sie rasch, ohne auf den Vorwurf einzugehen,
»ist es sehr schwierig für dich, Sophie noch eine Weile zu
übernehmen? Ich darf hier im Moment nicht weg. Es könnte
sein, daß die Polizei mich noch braucht.«
»Das ist kein Problem«, sagte Elisabeth großmütig, »aber du
hältst mich auf dem laufenden? Ich möchte nicht wieder
vergeblich hinter dir hertelefonieren.«
»Natürlich halte ich dich auf dem laufenden. Gib Sophie
noch einen Kuß von mir, ja?«
Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, starrte Laura eine
Weile nachdenklich vor sich hin. Noch war Sophie zu klein, als
daß sie hätte verstehen können, was geschehen war. Sie würde
häufiger nach ihrem Vater fragen, ohne daß sie ihr dies alles
erklären konnte. Aber eines Tages würde sie erfahren und
begreifen, daß ihr Vater ermordet worden war.
Welch eine Belastung für ihr weiteres Leben, dachte Laura,
auf eine vielleicht ganz unbestimmte, aber stets präsente Weise
wird sie sich nie ganz zugehörig fühlen können. Da ist etwas in
ihrer Vergangenheit geschehen, das sie von anderen abgrenzt.
Etwas, das in ein normales Leben nicht hineingehört, ihr aber
leider zugestoßen ist.
Sie nahm sich vor, alles zu tun, um zu verhindern, daß
Sophie je von der Absicht ihres Vaters erfuhr, im Ausland
unterzutauchen und Frau und Tochter allein auf seinem
Schuldenberg zurückzulassen. Wie sollte sie ein gesundes
Selbstwertgefühl entwickeln, wenn sie sich ihren Vater als
gewissenlosen Feigling vorstellen mußte?
Sie erschrak im selben Moment über diese Bezeichnung, mit
der sie ihren ermordeten Mann – wenigstens in Gedanken –
tituliert hatte. Gewissenloser Feigling. Durfte sie so über einen
Toten denken? Über den Mann, mit dem sie acht Jahre
zusammen, sieben Jahre verheiratet gewesen war? Mit dem sie
ein Kind hatte, mit dem sie hatte alt werden wollen?
»Ich denke, ich darf«, sagte sie leise, »ich darf es, weil ich es
anders nicht aushalten würde.«
Sie mußte sich an irgend etwas zu schaffen machen, und so
rückte sie die beiden Sessel vor dem Kamin zurecht, in denen
sie und Christopher am Vorabend gesessen hatten, schüttelte
die Kissen auf, nahm ihr leeres Weinglas in die Hand,
Weitere Kostenlose Bücher