Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein
rar. Die Bewohner des Hauses legen wohl großen Wert auf die Kräuter, da sie ihnen in ihrem Garten, der über so wenig zu bewirtschaftende Fläche verfügt, ein eigenes Beet einrichten.
Ich habe mir angesehen, was dort im Garten am See wuchs: Minze, Frauenmantel, Rosmarin, Salbei, Zitronenmelisse, Eisenkraut und Brennnesseln. Jeden Morgen geht der alte Mann hinaus und sammelt Kräuter. Er trägt dabei einen besonderen Handschuh, wegen der Brennnesseln. Langsam beugt er sich zu den Pflanzen hinab und nimmt nur von den jungen Trieben.
Der alte Mann geht in die Küche. Er zerkleinert seine Ernte mit einem Wiegemesser auf einem Holzbrett und stopft sie in einen Siebbeutel. Im Regal stehen blecherne Dosen mit mehr Kräutern: Weißdorn, Weidenröschen und Fenchel. Auch von denen nimmt er ordentliche Portionen und mischt sie unter die frischen Blätter. Der Tee schmeckt kräftig, unten liegt der See. Der Mann sagt, dass Minze und Melisse um die Vorherrschaft im Beet streiten. Gerade habe die Minze die Oberhand. Es sei ein Jahr für die Minze – wegen des Wetters, der harte Winter, der späte Frühling, der heiße Sommer. Die Minze sei in diesem Jahr im Vorteil gegenüber der Melisse, die ihre Chance vielleicht im nächsten Jahr bekomme.
Die meisten dieser Kräuter nutzt man wegen ihrer pharmazeutischen Wirkung. Nur beim Eisenkraut konnte da bislang nichts nachgewiesen werden. Die Weidenröschen und die Brennnessel wirken bei Blasenkrankheiten, Minze und Fenchel helfen dem Magen, der Weißdorn – der Strauch mit dem harten Holz, aus dem vielleicht die Dornenkrone Christi gedreht war – hilft dem Herzen. Die Pharmaindustrie betreibt keinen großen Aufwand, die Wirksamkeit der Kräuter genau zu untersuchen. Es lohnt sich nicht. Kräuter haben keine nennenswerten Nebenwirkungen. Und ein Mittel ohne Nebenwirkungen ist nicht verschreibungspflichtig. Das heißt, die Krankenkassen erstatten die Kosten nicht. Außerdem sind Pflanzen kaum patentierbar, wenn auch Saatguthersteller und Pharmakonzerne sich mühen, das zu ändern.
Natürlich gehören Kräutergärten zu den frühen Formen der Gartenkunst. Die Klöster haben sie gepflegt, und zu den Parks und Ländereien der Schlösser gehört immer auch ein Kräutergarten. Aber ich selber bin ein Gegner von Nutzpflanzen im Garten. Wenn an den Bäumen Äpfel oder Pflaumen hängen, soll mir das recht sein. Aber ich würde solche Bäume darum nicht pflanzen. Und das Gleiche gilt für Beeren und auch für Kräuter. Und zwar ganz ausdrücklich wegen ihrer Nützlichkeit.
Mein Garten ist ein Refugium der Nutzlosigkeit. Eine Lichtung im Wald des Zweckmäßigen.
In meinem gärtnerischen Konsequentismus verzichte ich auch auf jene Pflanzen, die nicht nur zweckmäßig, sondern auch schön sind wie Salbei, Rosmarin oder Lavendel. Ich will vermeiden, jemand könnte denken, ich hätte sie aus Gründen der Brauchbarkeit gepflanzt. Das ist zweifellos unsinnig. Denn es gibt wunderschöne Kräuteranlagen, in geometrischen Formen, begrenzt von sauber geschnittenen Buchsbaumhecken und durchzogen von kleinen Kiespfaden. Man kann aus solchen Kräuterbeeten ganze Barockgärten en miniature nachbilden. Nicht schlecht. Aber nicht meine Sache.
Mich hat dieser Besuch am See auf eine Sache gebracht, die damit gar nicht in Zusammenhang steht. Meine Aufmerksamkeit wurde einfach vorher nie darauf gelenkt. Es ging mir plötzlich mit Blick auf den südlichen See ein Licht auf, dass dieser Charakterzug des Gartenwesens, mit dem ich so wenig anfangen kann, der auf das Nützliche geht, vermutlich mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten eine bemerkenswerte Stärkung erlebt hat. Ich würde die These so formulieren: Das Kleingartentum, das im Westen durch Modernisierung, vielleicht auch Globalisierung bereits in einem grundlegenden Transformationsprozess begriffen war, ist durch den Nachschub konservativer Gartenelemente aus dem Osten in seiner Entwicklung um Jahre zurückgeworfen worden. Das Denken in den Kategorien des Nutzwertes. Dass der Garten einen Zweck erfüllen soll. Wo der gepflegte Rasen wenig, das wohlüberlegte Staudenbeet gar nichts bedeutet. Sondern wo sich alles beständig um Rübe, Rettich und Radieschen dreht. War das nicht alles typisch für die DDR?
Der Sozialismus ist bekanntlich eine Religion der Machbarkeit. Er ist darin seinem größeren Bruder, dem Kapitalismus, verwandt. Er erweitert diesen aber um den Kollektivismus, und es ist darum keine Überraschung, dass das
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